Zurück Bericht von Korbinian     28.07 - 04.09.2004


Berge, Steppe, Nomadenleben

Ein Abenteuer entlang der Seidenstraße

Eine außergewöhnlich Reise führte die beiden Schüler Korbinian Weiß (17 Jahre) und Tristan Wegner (19 Jahre) für fast anderthalb Monate nach Kirgistan. Sie trafen sich zum ersten Mal in Frankfurt am Flughafen und legten zusammen 1900 km und über 20 000 Höhenmeter mit dem Fahrrad zurück. Ihr ganzes Gepäck transportierten sie selbstverständlich auf ihren Fahrrädern.

Tristan auf dem Weg zum Barskoon Pass

Das Flugzeug landet in Bishkek; es ist stockdunkel. Ein Blick auf die Uhr sagt, dass es 4 Uhr nachts ist, doch unsere innere Uhr ist noch auf deutsche Zeit gestellt. Wir sind wirklich in Kirgistan angekommen; noch können wir es kaum glauben. Wir warten und warten, doch unser Räder kommen weder an der normalen Gepäckausgabe noch beim Sperrgepäck an: jetzt müssen wir es glauben, dass wir in Kirgistan sind. Im Aeroflot Büro werden wir auf morgen vertröstet und bekommen als Entschädigung immerhin 2200 Som, was ca. 44 Euro entspricht. Damit lässt es sich hier recht lange leben. Übermüdet kommen wir nach einer 30 minütigen Taxifahrt in unserem Homestay an, einer Wohnung im vierten Stock, wo Reisende für drei Dollar die Nacht verbringen können.

Anscheinend konnten die Russen unsere Räder doch nicht gebrauchen und haben sie nach Bishkek weiter geschickt, denn am nächsten Tag sind sie da. Beim Zusammenbau der Fahrräder stellt es sich heraus, dass meine Felge einen riesigen Schlag hat – doch als ich genauer hinsehe, fällt mir auf, dass sie an der Schweißstelle angerissen ist und es sieht so aus, als würde sie keine 2000 km auf Schotterpisten überstehen. Bishkek ist nicht gerade klein, aber die drei Fahrradläden findet man im Nu. Doch keiner will uns ein einzelnes Hinterrad verkaufen, sondern immer nur ein komplettes Fahrrad. Wir sind schon der Verzweiflung nahe, weil es in der ganzen Stadt nichts Brauchbares gibt - doch dann treffen wir zwei holländische Fahrradfahrer, die meinen das wir „pretty fucked up“ seien; das glaube ich auch! Einer von ihnen fliegt am nächsten Tag nach Hause und macht mir den Vorschlag, mir sein Hinterrad zu überlassen... Wir können unser Glück kaum fassen !

Die Hälfte Kirgistans liegt über 3000 Meter hoch
400 km auf geteerten Straßen liegen vor uns - ein Drittel des überhaupt geteerten Verkehrsnetzes - dann beginnen die Schotter-, Sand- und Waschbrettpisten.
Als wir endlich auf unseren 50 kg schweren Rädern sitzen, die kaum zu bändigen sind, fahren wir los, in Richtung Issy-kul See. Der Issy-kul See ist 12 mal so groß wie der Bodensee und zwischen zwei gigantischen Bergketten eingekeilt. Das tiefblaue Wasser, die Berge im Hintergrund und der Sandstrand im Vordergrund - einen besseren Zeltplatz hätten wir nicht finden können. Das Wasser ist leicht salzig, und erstaunlich warm, denn der See wird von warmen Quellen gespeist, so dass er selbst im Winter nicht zufriert. Er hat, wie der Aral See, keinen Abfluss, was ihn leicht salzig macht.

Melonenfrühstück


13 Pässe über 3000 Meter Höhe davon 4 Pässe über 3500 Meter Höhe
Unser Ziel ist es das Base Camp des Kahn Tengri zu erreichen und dann denselben Weg wieder nach Karakol zurückzufahren, wo wir für diesen vier Tage langen Abstecher gestartet sind.

Schon an unserem fünften Fahrtag gilt es, den 3822 Meter hohen Chon Ashuu Pass zu überwinden. Wir fahren ihn zwei Tage lang hoch, Kehre um Kehre, und kommen in der dünnen Luft ganz schön ins Schnaufen. Dicke Schneefelder säumen die Straße, es wird immer kälter und die Pausen immer länger... Die Straße besteht zudem auch noch aus einer üblen Piste, ausgewaschen von unzähligen Bächen und von kleinen Steinschlägen überrollt, nicht zu sprechen von großen Felsen, die uns das Fahren schwer machen. Die Abfahrt fahren wir in Schlaglochrodeomanier hinunter und werden dabei fürchterlich durchgerüttelt, so dass am Ende alles weh tut.

Ab in die Berge
Nach einer 50 km langen Abfahrt, mit Regen, Sonne, Gegen- und Rückenwind kommen wir am Ende der Welt an. Vor uns öffnet sich ein Tal, in dem ein, wilder, schwarzer Fluss fließt. Auf der anderen Seite des Flusses steht eine riesige Geisterstadt. Total verlassen liegt sie von grauen Wolken überschattet, zwischen den Bergen. Außer einem einsamen Checkpoint scheint alles heruntergekommen zu sein. Es war einmal eine Mine, die man gerade erst aufgebaut hatte. Die Häuser sind alle halb fertig, die Kräne stehen noch und alles ist wahrscheinlich noch nie in Betrieb gewesen. Es sieht so aus, als wenn über Nacht eine Seuche hereingebrochen wäre und alle Menschen vernichtet hätte. Dort angekommen machen wir uns auf ins Base Camp des Khan Trengri, eines der schönsten Berge der Welt, vorzustoßen. Die Strassen werden immer schlechter, und zum Schluss müssen wir immer wieder Hunderte Meter schieben. Uns gelingt es leider nicht, bis ins Base Camp vorzudringen, da die Strasse vollkommen überflutet ist.

...


Da es keine andere Straße gibt, müssen wir die gleiche Strecke wieder zurückfahren, was furchtbar öde ist, doch eine kirgisische Familie in einem alten Militärbus hält an und fragt uns, ob wir denn nicht mitfahren wollen. Das kommt wie gerufen, und so zurren wir unsere Fahrräder ruck zuck mit drei Spannbändern auf dem Dach des Busses fest und beten das sie während der Fahrt nicht herunterfallen werden. Die drei Männer im Bus halten immer mal wieder an, um mit ihrer Schrotflinte Murmeltiere zu erlegen. Sehen sie eins in Reichweite, holen sie ihre Schrotflinte heraus, laden sie und versuchen die Murmeltiere abzuschießen, doch sie erwischen nie eins. Der Höhepunkt der Fahrt ist, als wir nach einem leeren Tank und einem Motorschaden, was hier gang und gäbe ist, oben auf dem Pass ankommen, und der Fahrer für die anstehende Abfahrt erst mal alle Radmuttern festzieht. Die zwei Kinder im Bus sind von unseren Helmen maßlos begeistert, und haben sie die ganze Zeit auf, doch wir können sie nicht davon überzeugen, dass sie sie falsch herum aufgesetzt haben. Unsere Isomatten sind auch eine Sensation und müssen im schaukelnden Bus erst mal testgelegen werden, was für viel Heiterkeit sorgt. Wir sind richtig erleichtert, als wir nach einer vierstündigen Holperpartie ohne Schaden in Karakol ankommen.

Nachtlager


Unterwegs auf „Spuren im Gras“
Den Ara Bel Pass, unser höchster Pass mit 3841 Metern, erklimmen wir auch in zwei Tagen, und brauchen genau so lange, ihn wieder hinunter zu fahren, da wir von der Straße abbiegen und uns auf schwachen Jeep Spuren, im Gras bis nach Naryn durchschlagen. Nach dem Ara Bel Pass geht es aber immer noch weiter hoch. Wir kommen bis auf 3900 Meter Höhe. Irgendwann finden wir Jeep Spuren die nach rechts abbiegen und über die Hochebene führen. Wir folgen ihnen, und da die Richtung stimmt, schätzen wir, dass wir auf den richtigen Spuren fahren. Die Straße wird immer schlechter und irgendwann geht es furchtbar steil nach unten in ein Tal. Es geht so steil bergab, dass wir fast nicht mehr fahren können und manchmal einfach nur noch geschoben haben. Die Nacht auf über 3500 Meter wird sehr kalt und am nächsten Morgen sind die Fahrräder und unser Zelt mit einer dicken Eisschicht überzogen.

Korbinian mit seinem Rad

Ich frage mich öfters, ob es wohl hinter der nächsten Kurve weiter geht, oder ob wir alles wieder zurück fahren müssen, denn schon ein tiefer Fluss hätte uns zum Umkehren zwingen können. Der einzige Wegweiser den wir haben, ist das plattgefahrene Gras: unsere „Straße“. Die Gegend ist so einsam, dass wir zwei Tage lang nicht einmal Hirten treffen und unsere Durchschnittsgeschwindigkeit steigt nicht über 8 km/h, denn es ist einfach nicht möglich, schneller zu fahren. Manchmal müssen wir unsere Fahrräder schieben und zerren. Aber vor allem die Höhe macht uns zu schaffen.

Die Kirgisen sind ein Reiterfolk: klein, braungebrannt, vom Wind und Wetter gegerbt. Dick eingehüllt reiten sie über die Steppe und hüten ihre Tiere. Sie wohnen in ihren kunstvoll gebauten Jurten, die aus einem Holzgerüst bestehen über das Filzdecken gelegt werden.

Wir werden immer wieder herzlich in Jurten eingeladen. Die Jurten sind innen mit bunten Tüchern und Teppichen ausgekleidet, auch der Boden, dort sitzt man, Stühle gibt es keine. Wir bekommen das Nationalgetränk Kumis, gegorene Stutenmilch, vorgesetzt. Es schmeckt gewöhnungsbedürftig, doch Tristans Magen verträgt es nicht und gibt es immer wieder sehr schnell von sich. Außerdem gibt es Nan das flache runde Brot Zentralasiens, und Sahne aus Stutenmilch dazu, die sehr gut schmeckt. Wir werden sogar zum Mittagessen eingeladen, denn es gibt heute Marcopolo Schaf (eine vom Aussterben bedrohte Schafsrasse) und Kartoffeln. Das Fleisch ist sehr fettig und besteht zu 80 Prozent aus Knochen und Knorpeln, doch es schmeckt uns gut.

Vom Militär festgehalten
Unser Plan ist es, von Naryn nach Süden zu fahren, bis fast an die chinesische Grenze und dann an der Grenze entlang bis zum Torugart Pass, der nach China führt. Für das Gebiet nahe der Grenze braucht man aber eine Genehmigung, denn diese ganze Region ist militärisches Sperrgebiet. Wir haben diese Genehmigung, doch als wir an eine große Militärkaserne kommen, wird uns gesagt, dass die Genehmigung nicht korrekt ist. Komischerweise hat an den vorigen Check Points keiner etwas auszusetzen gehabt. Diese Kaserne ist aber im Vergleich zu den vorigen Check Points mit Bunkern, Schützengräben, Stacheldraht und einem 30 Meter hohen Wachturm gesichert, nicht zu sprechen von den ganzen bewaffneten Soldaten, die die Kaserne bewachen. Uns werden die Pässe abgenommen und nach zweieinhalb Stunden Warten, wird uns gesagt, wir sollen unser Zelt zwischen dem Stacheldraht und dem Schützengraben aufbauen und wenn wir uns von dem Zelt entfernen sollten würden sie auf uns schießen. Wir bekommen wenigstens ein Abendessen spendiert: Yakfleisch mit Brot und Tee - so ein gutes Fleisch habe ich noch nie gegessen. Außerdem sind wir vor den vielen Wölfen geschützt, von denen uns überall erzählt wird. Ein kleiner Trost. Wir werden die ganze Nacht gut bewacht und am nächsten Morgen, nach einer Stunde Warten in der Kälte auf 3000 Meter Höhe, bekommen wir unsere Pässe und die korrigierten Permits zurück und dürfen weiterfahren. Welch ein Glück, denn diese Tage an der Grenze zu China sind die Schönsten der ganzen Reise.

An der chinesischen Grenze

Wir sind oft in so einsamen Gegenden unterwegs, dass es einfach keine Brücken gibt. Nur da wo man die Flüsse absolut nicht mehr mit dem Auto durchfahren kann, werden Brücken gebaut. Wir können die kleineren Flüsse mit dem Fahrrad durchqueren, aber bei den großen Flüssen, die bis zu 30 cm tief sind, geht gar nichts mehr. Da bliebt uns nur noch eine Möglichkeit: Schuhe aus und durch den eisigen Gletscherbach waten.

Aus der Sicht eines der zahlreichen Adler sind wir nur zwei kleine Punkte, die sich langsam in der weiten steinigen Landschaft fortbewegen. Das Rot unserer Fahrradtaschen leuchtet nicht mehr so kräftig wie am Anfang, doch auch mit dem Staub des Tian Shans überzogen, heben sie sich noch deutlich von der Landschaft ab.

Die Landschaft im Militärgebiet ist traumhaft schön und so blieben wir immer wieder stehen um zu staunen. Da wir immer wieder an einem der sieben Check Points nach einer Kamera gefragt werden, passen wir enorm auf, dass man uns nicht im Militärgebiet beim Fotografieren von den Wachtürmen aus, die ab und zu auf den Hügeln stehen sieht. Man kann immer noch die Reste der Grenzsicherungsanlagen aus der Sowjetzeit sehen. Entlang der Piste tauchen immer mal wieder Bunker und Schützengräben auf. Erstaunlicherweise ist die Grenze zu China mit drei Stacheldrahtzäunen und einem Elektrodraht gesichert, als ob man verhindern will, dass die Kirgisen heimlich ausreisen.

Abendessen

Noch im militärischen Gebiet übernachten wir ein paar Kilometer von der chinesischen Grenze entfernt auf 3550 Metern am Chatyr-Köl See. Da die Nacht klar ist, beschließen wir, unser Zelt nicht aufzubauen, denn wir wollen das Sternenspektakel miterleben. Es sieht so aus, als wären Millionen Diamanten am Himmel verstreut. Auf dieser Höhe, in der eisig klaren Luft, bremst nichts ihren Glanz, es ist wirklich unglaublich. Die Nacht wird bitterkalt und ich ziehe die Schlafsackkapuze zu einer kleine Öffnung zusammen aus der ich atmen kann. Am nächsten Morgen sind unsere Schlafsäcke mit einer dicken Schicht Raureif überzogen, doch als die Sonne rauskommt wird es angenehm warm.

Ich muss zweimal hinschauen bevor ich es glaube: zwei Kamele auf 3000 Meter Höhe und über ihnen die schneebedeckten Gipfel des Tian-Shan. Die Kamele sehen hier irgendwie fehl am Platz aus, als wenn sie aus einer anderen Welt kommen würden und nicht hier am Song-Köl stehen. Die Landschaft um den Song-Köl See ist von weißen Jurten und Tierherden gesprenkelt. Die Leute sind sehr freundlich und wir können nicht alle Einladungen annehmen, da wir sonst überhaupt nicht mehr voran kommen würden.

Bergauf zum Song-Köl

Nach etlichen Tagen ohne eine Einkaufsmöglichkeit wird unser Essen immer eintöniger, und besteht zum Schluss nur noch aus Nudeln und Brot, das wir bei den Nomaden gekauft haben. Von zwei Touristen, die mit dem Auto unterwegs sind bekommen wir ein riesiges Lunchpaket geschenkt, was für uns wie gerufen kommt, da wir nur noch Nudeln und trockenes Brot haben. Man kann sich nicht vorstellen, wie sich zwei hungrige Fahrradfahrer auf so ein Lunchpaket stürzen, in dem gekochte Eier, ein Marmeladenglas, Fleisch, Gurken, Tomaten und zwei chinesische Kochwürste sind.

Oben auf dem Teo-Ashuu Pass, der die letzte Bergkette im Norden durchschneidet, auf 3100 Metern, könnte man theoretisch bis ans Polarmeer sehen, das 6000 km entfernt hinter Sibirien liegt. Es gibt keine Berge mehr zwischen uns und dem Polarmeer, die uns die Sicht versperren könnten, nur die Erdkrümmung und die Wolken sind unserem Blick im Weg.

Staubige Pisten

Unsere Tour ist auf alle Fälle „off the beaten paths“ gewesen. So haben wir, glaube ich, die schönsten Ecken des Landes gesehen, eben die, wohin sich keine anderen Touristen verirren, nur zwei verrückte Jugendliche auf ihren voll beladenen Fahrrädern.

Bericht und Fotos: Korbinian Weiß

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