Strampeln bis zum Umfallen
bei Kadji-Sai - Karakol

Der Vorteil einer zeltlosen Nacht bei klarem Himmel ist unbestreitbar. Wenn wir nachts immer wieder einmal kurz aufwachen, blicken wir direkt nach oben in den Sternenhimmel. Milliarden von Sternen stehen am Himmel. Die zahlreichen Sternbilder und die Milchstraße sind ganz deutlich zu erkennen. Der Nachteil einer zeltlosen Nacht sollte allerdings auch nicht vergessen werden: Die ganze Zeit müssen wir uns mit Tausenden von Mücken herumplagen, von deren Anwesenheit wir immer wieder aufwachen. Ganz zu schweigen von den Ameisen, die plötzlich im Schlafsack auftauchen...

Rote Landschaft am Issyk-kul

Heute haben wir eine lange Etappe vor uns, da es bis nach Karakol gehen soll. Karakol ist die einzige richtige Stadt und liegt am Ostufer des Issyk-Kul. Dementsprechend ist es auch das touristische Epizentrum. Von hier aus lassen sich zahlreiche Wanderungen in die Berge organisieren und wer die höchsten Gipfel Kirgistans besteigen will, kommt auf seinem Weg zum Basislager zwangsläufig hier vorbei. Nachdem wir uns durch das Gebüsch zurück auf die Straße geschlagen haben, rollen wir ohne erwähnenswerten Verkehr durch die im Morgenlicht liegende rotbraune und trockene Landschaft. Neben uns breitet sich der tiefblaue Issyk-kul aus und schemenhaft sind in siebzig Kilometern Entfernung schon wieder die Berge des anderen Ufers zu sehen.

Das andere Ufer ist 70 Kilometer entfernt

Für die Flussüberquerungen haben sich die Kirgisen auch etwas Besonderes ausgedacht. Ähnlich Italiens Straßen, fällt die Straße bis auf Höhe des Flusses bergab, um nach der kleinen Brücke wieder fast senkrecht aus dem Flusstal heraus anzusteigen. Nun gut, in Italien scheinen die Straßen sinnlos dem Auf und Ab zu folgen. Hier überquert man wenigstens noch einen Fluss...

Um wieder etwas Energie zu tanken, lassen wir uns bei einer Touristenjurte nieder und ordern reichlich Cola. Währenddessen bereitet ein älterer Herr gerade die Snacks zu, die die zahlreichen Strandgäste hier bevorzugen: Getrockneten Fisch. Dazu werden die Fische auf einen Draht aufgezogen und dann zum Trocknen aufgehängt. Auch uns will man etwas Fisch anbieten, doch wir lehnen dankend ab. Wie sich kurze Zeit später herausstellt, war eben jener Mann sogar einmal in Deutschland. Von 1980 bis 1982 diente er in Bad Langensalza und Weimar der sowjetischen Armee. „Germanija charascho!“ – Deutschland ist klasse. Wir versuchen ihm klar zu machen, dass wir Kirgistan viel schöner finden. Und das nimmt der alte Herr sehr erfreut auf.

Als wir dann wieder aufbrechen, kommt gerade die Touristenelite des Landes vorbei. Man deckt sich schnell mit getrocknetem Fisch ein, präsentiert sich und seinen Schmuck der Öffentlichkeit, um dann in Miniröcken und Badeshorts wieder zu verschwinden. Die Leute sehen aus, als wären sie gerade aus Europa eingeflogen worden. Wir und unsere Räder werden natürlich nicht mit dem geringsten Blick gewürdigt – wie könnte man auch! Umso erfreuter sind wir, als wir keine hundert Meter weiter wieder auf einige einfache Leute treffen, die uns freundlich und strahlend begrüßen. Welch ein Glück, dass wir doch noch in Kirgistan sind. Beim Anblick mancher hier parkender Nobelkarossen kann man durchaus ins Zweifeln kommen...

Nach achtzig Kilometern sind wir nicht nur wie ausgebrannt, sondern vor allem verbrannt. Obwohl wir uns ständig eingecremt hatten, sind Beine, Arme und Gesicht tomatenrot. Wir machen etwas Pause im Schatten eines Kiosks und werden, wie bei jeder Pause, sogleich von neugierigen Kindern umringt, die interessiert das ganze Rad beäugen. Während wir etwas dösen, betrachten zwei Jungen erst einmal unsere Gangschaltung, da so etwas in Kirgistan gänzlich unbekannt ist. Ihre Fahrräder haben nur einen Gang, keinen Tacho und mit Glück überhaupt Bremsen. Kein Wunder, dass unser Rad nicht nur von Kindern, sondern auch Erwachsenen immer wieder neugierig bestaunt wird.

Trotz ausgiebiger Pause schwinden die Kräfte stetig weiter und wir sind echt am Ende. Der Hintern tut weh, das ständige Gerüttel und Gewackel der schlechten Straßen geht uns tierisch auf die Nerven, die Beine sind schwer wie Blei und das Schlimmste: Karakol ist immer noch nicht in Sicht! Dazu gesellen sich unsere Orientierungslosigkeit (wir haben nicht die leiseste Ahnung wie weit es noch sein könnte) und das ständige leichte Auf und Ab der Straße. Mit anderen Worten: Es ist eine Katastrophe! Heilfroh sind wir, als wir endlich Karakol und nach einigem Suchen auch die Pension erreichen.

Nach dem wohltuenden und sehr leckeren Abendessen der Gastgeberin, unterhalten wir uns mit den vielen anderen Reisenden, die fast alle aus Frankreich kommen. Dabei legt uns einer nahe, das Basislager bei Inylchek zu besuchen. Es solle landschaftlich dort ein Traum sein. Da wir sowieso vorhaben dort in die Nähe zu fahren, reift in unseren Köpfen der Gedanke uns die letzten 40km bis zum Lager durchzuschlagen.