In der Geisterstadt
kurz vor Pass - bei Inylchek

Nachdem wir uns mit dem einfach keinen Geschmack erzeugenden Milchpulver rumgeärgert haben, brechen wir auf und nehmen die ersten Kehren auf der steilen Schotterpiste in Angriff. Immer wieder müssen wir auf der Straße von links nach rechts radeln um größeren Feldern mit losem Geröll auszuweichen. Dabei ist teilweise höchste Konzentration und fahrerisches Geschick von Nöten, um nicht zu stürzen, wenn der lose Untergrund plötzlich ins Rutschen kommt. Mittlerweile merke ich auch deutlich die Höhe. Irgendwie bringt man nicht die gleiche Kraft aufs Pedal wie sonst und auch der Kopf ist etwas schwerer. Spätestens als es dann in die Kehren geht, verliere ich kontinuierlich an Leistung und muss immer öfter anhalten. Erschwert wird die ganze Unternehmung vor allem durch den schlechten Untergrund, der extra Kraft und Nerven kostet. Der besteht nämlich wie alle umliegenden Berge nur aus Schutt. Nachdem anfänglich nur der Gebirgszug zu sehen war, ist mittlerweile sogar die zweihundert Meter höher gelegene Passhöhe ins Blickfeld gerückt.

Es geht wie immer steil... ...bergauf!

Trotzdem wird die restliche Strecke für mich zur Tortur. Die Beine sind schwer wie Blei, das Herz pocht so sehr, dass ich jeden einzelnen Schlag bis in den Kopf spüre. Dazu die dünne Luft und mein Hecheln. Die leichten Kopfschmerzen und sowieso und überhaupt! Was mache ich hier überhaupt? Ich könnte auch ganz einfach am Strand liegen. So wie alle anderen auch. Dann würde ich wenigstens einmal sagen können, ich hätte Urlaub gemacht. Jawohl! Bis jetzt hat mich schließlich jeder belächelt, dem ich sagte, mein „Urlaub“ fände in Kirgistan statt.

Nach diversen Pausen, in denen ich vergeblich versuche meinen Pulsschlag wieder in einen humanen Bereich zu bringen, stehen wir an den ersten kleinen Schneefeldern und dann auch endlich ganz oben. Aber was ist das? Kein Schild? Und wie soll uns jetzt jemand glauben, dass wir auf 3822 Metern waren?

Pause auf dem Pass (3822m)

Wenigstens hat es der Ausblick in sich. Auch wenn es bewölkt ist und in der Ferne sogar regnet, kann man weit weg die schneebedeckten und vergletscherten Vier- und Fünftausender sehen. Während der Abfahrt müssen wir auf der Schotterpiste sehr aufpassen, um bei Tempo 40 nicht zu stürzen. Die Folgen wären fatal. Schließlich zieht sich der Weg direkt am Berghang entlang und neben uns ist der mehrere hundert Meter tiefe Abgrund. Glücklicherweise beginnt nach einigen Kilometern wieder der Asphalt und das Tal wird immer enger und schroffer. Doch eine Abfahrt im eigentlichen Sinne haben wir dank des heftigen Gegenwindes trotzdem nicht.

Abwärts neben dem Abhang

Kurze Zeit später verbreitert sich das Tal überraschenderweise wieder und grüne, geschwungene Hügel, auf denen Pferde grasen liegen vor einer Wand vergletscherter Bergspitzen. Nachdem wir eine kleine Steigung bewältigt und uns an einigen bösen Hunden vorbeigeschlichen haben, wird das Tal wieder schroff und tief.

Als wir einige Kurven später das Tal verlassen, stellen wir wieder einmal fest, dass Kirgistan ein Land der Kontraste und der Merkwürdigkeiten ist und bleibt. Als wir aus dem hübschen Flusstal herauskommen, stehen wir plötzlich vor einer Landschaft, die an den Weltuntergang glauben lässt. Die von Wind umstürmte Minenstadt Inylchek liegt völlig verlassen inmitten eines trostlosen Tals. Alles scheint so, als ob jemand die zahlreichen Arbeiter und Familien, die hier einmal gelebt, gearbeitet und gelacht haben einfach hat in Luft auflösen lassen. Maschinen und Werkzeuge stehen noch so herum, als seien sie gerade noch benutzt worden. Nur die Stadt wurde übergelassen um den Wind an den zahlreichen Betonruinen zum Heulen zu bringen und langsam zu verrosten. Unter einsetzendem Nieselregen rollen wir von der Erhöhung mitten in die Geisterstadt, um dort unsere Erlaubnisscheine für die grenznahe Region zu China überprüfen zu lassen. Nur mit einem gültigen Permit hat man überhaupt Zugang zum Basecamp. Nach einigem hin und her mit dem Verantwortlichen, dürfen wir durch und rollen durch die Straßen der ehemaligen Stadt. Es liegt eine richtig unheimliche Atmosphäre über dem einsamen Tal und wir sind froh, als wir die Ruinen hinter uns gelassen haben.

Downhill Von oben sieht Inylchek recht groß aus... ...ist allerdings eine Geisterstadt.

Direkt neben uns tobt der Fluss, als würde er versuchen aus seinem Flussbett zu entkommen um das ganze Tal zu überfluten. Der Himmel ist pechschwarz, es tröpfelt immer noch und die Straße wird von Kilometer zu Kilometer schlechter. Bald haben wir mit fußballgroßen Steinen und üblem Schotter zu kämpfen. Neben uns ist die Uferzone bereits vom Fluss überspült und die Büsche haben ihre Mühe nicht vom reißenden Strom mitgerissen zu werden. Unsere Hintern tun weh, wir haben Hunger und die Vernunft sagt uns, dass wir es nicht mehr bis ins Basecamp schaffen werden. Als dann auch noch der Pfad vom tobenden Fluss weggerissen ist, beschließen wir umzukehren und einige Kilometer weiter das Zelt aufzustellen. Auf nasse Füße haben wir nun wirklich keine Lust mehr und wir sind froh, dass der Fluss uns einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Wer weiß bis wo uns unser Ehrgeiz sonst noch getrieben hätte.

Noch eine Ruine Überschwemmte Straße