Am nächsten Morgen ist der Wasserstand des Flusses um zwei Meter gefallen. Heute würden wir es ins Basecamp schaffen. Aber wir haben genug von den schlechten Straßen und wollen lieber nach Karakol zurück. Mir geht es an dem Tag zudem gar nicht gut. Ich quälte mich schon aus dem Schlafsack und bin fast zu müde mich auf den Beinen zu halten. Meine Arme, Beine und der Rest des Körpers sind so schwer, dass jeder Handgriff des Packens zur Qual wird. Langsam, ganz langsam suche ich meine Sachen zusammen und brauche ewig, bis das Rad bepackt ist. Heute ist wohl nicht mein Tag.
Dann geht es wieder zurück durch die Geisterstadt und am Checkpoint vorbei. Ein kleiner Junge begleitet uns mit seiner Peitsche über die Brücke und strahlt vor sich hin, zwei Touristen entdeckt zu haben. Entgegen seiner Vermutung waren wir aber nicht auf dem Khan Tengri. Dann geht es mit zwölf Prozent Steigung bergauf. Jedenfalls zeigt das Schild 12% an. Seltsam. Bis jetzt war auf ausnahmslos jedem Schild eine zwölfprozentige Steigung angegeben. Egal ob bergauf oder bergab. Ob steil oder nicht. Anscheinend gab es die 12%-Schilder mal im Sonderangebot oder mit Rabatt, sodass die Kirgisen alle aufkauften...
Plötzlich taucht ein älterer Mann auf seinem Rad hinter uns auf und winkt. Was kann der wohl wollen? Irgendwie trauen wir den wenigen Leuten nicht, die hier am Ende der Welt in verfallenen Hütten leben. Vielleicht will er uns ja zum Tee einladen? Ich lehne mit einer Handbewegung ab, aber er gibt nicht auf. Irgendwann holt er uns ein und meint, da sei ein Radfahrer aus Italien. Und tatsächlich! Etwas hinter ihm kommt gerade ein vollbepackter Radfahrer zum Vorschein und winkt. Da trifft man sich nun hier am Ende der Welt...
Andrea, der Italiener | Schroffes Tal | Vergletscherte Berge |
Andrea ist mit dem Motorrad aus seinem Heimatland Italien bis nach Kirgistan gefahren, hat jenes dann hier verkauft und sich dafür lieber ein Fahrrad zugelegt. Nun möchte er damit noch durch China. Dadurch, dass er erst hier umgestiegen ist, sind Rad und Ausrüstung reichlich improvisiert. Wir sind sichtlich beeindruckt... Wir quatschen etwas und es stellt sich heraus, dass wir seit Karakol nur knapp hintereinander geradelt sind. Alles begann sogar damit, dass er unsere Räder im Internetcafe in Karakol gesehen hatte, da er dieses auch besucht hatte. Dann übernachtete er in der Jurte, neben der wir unser Zelt in 100 Meter Entfernung aufgestellt hatten. Dadurch, dass wir schon so früh im Bett waren begegneten wir uns nicht mehr. Am nächsten Morgen brachen wir dann zwei Stunden vor ihm auf, wodurch wir noch kurz vor dem Schneefall, den er genießen durfte, auf dem Pass waren. In Inylchek erzählten ihm dann die Leute, hier seien gerade zwei Radler vorbeigekommen. Und erst am nächsten Morgen begegneten wir uns allerdings auch nur, weil der alte Herr uns stoppte. Eine wirklich witzige Geschichte.
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Wir machen uns bald wieder auf den Weg und genießen das Tal zum zweiten Mal, da es sich hier wirklich um eine Route handelt, die man gut ein weiteres Mal fahren kann. Ich bin die meiste Zeit jedoch zu erschöpft, um wirklich genießen zu können und konzentriere mich stattdessen stur auf das Treten. So ein Mist! Warum müssen wir auch noch auf 3800 Meter hoch? Mir geht wieder einmal alles mögliche durch den Kopf, was mich immer mehr am Sinn dieser Reise zweifeln lässt. Und das sogar noch schlimmer als bei der Auffahrt am Vortag. Irgendwann bin ich so am Ende, dass ich sofort in den Flieger nach Hause steigen würde, wenn er gleich hinter der nächsten Kurve starten würde. Wenn...
Flusstal | Immer noch im Flusstal | Ein Minibus... |
Stattdessen kommt von hinten ein uralter und klappriger Minibus an. Das ist damit dann auch schon das dritte Auto für heute. Ob wir nicht mitfahren wollten? Man wäre schließlich gerade auf dem Weg nach Karakol. Der Frage bedurfte es nicht zweimal! Während ich mein Glück kaum fassen kann, lädt Korbinian bereits die Räder aufs Dach. Als ich dann einsteige, fällt mein erster Blick natürlich erst einmal auf die Schrotflinte, die zwischen den beiden Männern vorne im Wagen liegt. UPS! Ob wir hier wirklich hätten einsteigen sollen? Später finden wir jedoch heraus, dass die drei Männer im Wagen die Flinte nur für die Murmeltierjagd verwenden. Immer wenn irgendwo am Wegesrand eines gesichtet wird, halten sie an und schießen. Getroffen haben sie allerdings nicht. Zu schade, da wir eines dieser Tiere gerne mal aus der Nähe sehen würden.
Das Highlight - unsere Helme |
Mit uns im Bus sitzen noch zwei ältere Damen mit ihren Söhnen, die gerade einmal 4 und 9 Jahre alt sind. Die Kleinen sind von unserer Ausrüstung extrem begeistert und die Helme sind ein absolutes Highlight. Die beiden wollen sie überhaupt nicht wieder abnehmen und sind überglücklich als wir auch noch ein Foto von ihnen mit den Dingern auf machen. Zum Dank für die Mitfahrgelegenheit verschenken wir etwas von unserem Wasser, Traubenzucker und Keksen.
Dann kommt der Bus an den Schotterserpentinen an und es geht steil bergauf. Hätte ich zu dem Zeitpunkt gewusst, dass ich auf der nun folgenden Fahrt an die tausend Tode sterben würde, wäre ich sicher spätestens jetzt wieder ausgestiegen. Mit 80 Sachen rast der Bus die schmale Strasse hoch. Jedes Mal, wenn der Fahrer in ein Schlagloch donnert, kippt der Bus gefährlich nahe in Richtung Abgrund, der teilweise bis zu 500 Meter tief ist. Manchmal trennen uns nur 30 Zentimeter von der Schlucht. Oioioioi... ich sehe mein Leben schon den Abhang runterstürzen! Hundert Meter vor der Passhöhe geht dann plötzlich der Motor aus. Dieses Mal ist es nicht das Benzin das fehlt (so wie ein paar Kilometer zuvor), sondern irgendetwas anderes. Während die Männer in ihrer Werkzeugkiste kramen, vergessen sie wohl einen Gang einzulegen. Der Bus rollt ein paar Meter rückwärts...
Oben am Pass werden dann erst einmal die Radmuttern wieder festgezogen und dann beginnt die Abfahrt, die nicht gerade entspannender verläuft. Ich habe das Gefühl die Männer schauen eher nach ihren Murmeltieren, als auf die Straße. So donnern sie auch beinahe in den Steinschlag, durch den wir uns vor zwei Tagen kämpften. Schließlich hatten sie die Umgehung übersehen...
Erst als wir dann wieder im flachen Land sind, merke ich wie sehr icheigentlich meine Arme und Beine verkrampft hatte. Teilweise ließ sich die Busfahrt auch besser mit geschlossenen Augen ertragen. Aber eines ist sicher: Es war jedenfalls ein Erlebnis! Das wissen wir, als wir in Karakol wieder aussteigen, uns bei dem Fahrer Dimitri bedanken und zwei Tage früher als geplant wieder vor dem Gästehaus stehen.
Im Minibus | Tristan ist etwas angespannt... |