Bereits um sechs Uhr morgens wachen wir auf und nutzen die Zeit, um eine logistische Meisterleistung zu vollbringen. Die Problemstellung ist wie folgt: Ich besitze sechs Kilogramm Übergepäck bei einem Preis von 8,70 Euro pro Kilo. Wie gebe ich möglichst wenig aus? Durch zahlreiches Umpacken, Eliminieren von Verpackungsresten, gnadenloser Auslegung aller Bestimmungen der Airline zu unseren Gunsten, sowie Ausstopfen der Hose und Jackentaschen mit Ausrüstung, schrumpft das Gewicht des aufzugebenden Gepäcks tatsächlich auf 34 Kilogramm. Um weiteres Übergepäck zu vermeiden, ziehen wir sogar alle Kleidungsstücke übereinander an, was bei mir alleine auf sieben Kleidungsstücke unterhalb der Gürtellinie hinausläuft.
Flug SU 106 nach Moskau |
Doch das alles hätten wir uns auch sparen können, denn beim Check-In merken wir recht schnell, dass die Angestellte nicht mit Aeroflots Regelungen vertraut ist. „Und das Rad“, fragt sie mich mit kritischem Blick, „haben Sie das angemeldet oder müssen Sie dafür noch was bezahlen?“
Ich stelle mich extra dumm, weil ich ganz genau weiß, dass das Rad eigentlich in dem Freigepäck von dreißig Kilo enthalten ist. Ich versichere Ihr stattdessen einfach, dass Aeroflot das alles geregelt hätte und alles bezahlt sei. Als sie dann nach dem Gewicht der Räder fragt, geben wir natürlich auch noch fünf Kilo weniger an. Nachwiegen will keiner. Selbst das Handgepäck, welches Teil der 30kg sein soll, will sie nur kurz sehen und ich betone noch lapidar, dass dann ja mit den 30kg alles wunderbar hinkommt. Peng. Aus. Fertig. Bordkarte in die Hand gedrückt und einen schönen Tag gewünscht. Die Räder werden abgeholt. Ermitteltes Gewicht meines Gepäcks ist 13 Kilogramm. Tatsächliches Gewicht ist 34 Kilogramm. Und da wir nicht für das Übergepäck zahlen müssen haben wir rund fünfzig Euro gespart, was gleich in Reiselektüre und Brötchen investiert wird.
Als wir dann tatsächlich im Flieger auf unseren Plätzen sitzen, wird uns doch noch einmal etwas mulmig zu Mute. Oh weh, oh weh... was machen wir hier bloß? Kirgistan... wir haben doch echt eine Vollmeise! Dann hebt der Flieger ab, es gibt kein Zurück mehr.
Während über Ostdeutschland hässliche Löcher in Form von Tagebauten die Landschaft verschandeln, wird es ab Polen deutlich grüner und in Moskau haben wir das Gefühl, dass der Flughafen direkt in den Wald gebaut wurde. Inmitten des Landeanflugs kommen wir mit einem jungen Russen ins Gespräch, der neben uns sitzt. Als wir erzählen wo es hin geht, bekommen wir nur seine breite Ablehnung zu hören: Das sei alles viel zu gefährlich. Schließlich würde selbst er als gebürtiger Russe sich in Russland kaum auf die Straße trauen.
Im Flugzeug |
Der Flughafen in Moskau sieht sehr nach Ostblock aus. Vor uns thront ein hässlicher Plattenbau, den nur der Schriftzug „Hotel“ ziert. Vieles steht hier einfach nur noch rum und verrostet. Sogar ein in der Mitte auseinandergebrochenes Flugzeugwrack einer Tupolev liegt hier einfach so. Das macht ja Mut für den Weiterflug!
In der Transithalle erhalten wir unsere Bordkarten für den Weiterflug. Die Pässe werden von einer dicken, grimmig dreinschauenden russischen Beamtin kontrolliert und wir unterhalten uns mit einem deutschen Kirgisen. Auch er rollt mit den Augen, als er hört, dass wir mit dem Rad...
So langsam fragen wir uns ernsthaft warum uns alle Leute für verrückt erklären. Gerade er als Kirgise müsste es doch am besten wissen, wie es dort ist. Vielleicht haben wir ja auch alle Warnungen zu Hause zu leichtfertig in den Wind geschlagen? I wo! So schlimm kann es doch eigentlich kaum werden. Oder...?
Eine halbe Stunde vor Boardingbeginn kommt dann endlich der Bus, der uns in fünfzehn Minuten über eine Schlaglochstraße nach Sheremetyevo 2, zum anderen Teil des Flughafens, bringen wird.
Als der Bus dort ankommt ist die Boardingzeit schon um fünf Minuten überschritten. Nichts tut sich. Stattdessen stehen wir einfach nur da. Unser kirgisischer Freund meint, wir müssten uns daran gewöhnen. Russland sei voller Überraschungen. Dann werden wir in den Raum gelassen, wo die anderen Fluggäste warten, die nicht per Transit unterwegs sind. Es herrscht kaum Platz im Inneren und nachdem wir weitere zehn Minuten gewartet haben, kommen wir wieder in den Bus und werden zum Flieger gefahren. Das Flugzeug, eine Tupolev, ist extrem eng und alt, wovon vor allem die 80er Jahre Muster an den Gepäckfächern zeugen. Apropos Gepäckfächer. Diese sind natürlich zu klein, sodass unser Handgepäck zwischen unseren Beinen verstaut werden muss. Und das, wo die Sitze eh schon so eng sind. Ächtz!
Vor dem Start schickt das Mädchen, das neben Korbinian sitzt, noch schnell ein Stoßgebet gen Himmel. Oh weh. Ob das in diesem maroden Flieger gut geht? Unter ohrenbetäubendem Lärm heben wir schlussendlich ab und fliegen in die Nacht hinein. Zunächst ist noch das hell erleuchtete Moskau unter uns. Dann geht es aber bald in die Steppe Kasachstans hinein und es gibt kaum noch Lichter am Boden. Nur vereinzelt ziehen in der Finsternis der Nacht ein paar Ortschaften vorbei. Kirgistan, wir kommen...