Das Einzige, was uns tatsächlich in der Nacht überfällt, ist eine Schlechtwetterfront, die am Morgen Regen mit sich bringt. Keiner von uns beiden kann sich so richtig motivieren aus dem Zelt zu schauen. Als ich mich dann doch traue, hängen draußen die Wolken recht tief im Tal. Jedoch herrscht kein Einheitsgrau, wie man es von Regentagen in Deutschland her kennt.
Zum Start in einen erfolgreichen Tag kochen wir Kaffe in einer unserer leeren Maisdosen. Keiner von uns beiden hatte zu Hause daran gedacht eine Tasse einzupacken. Nun müssen wir halt improvisieren. Daran, dass der Kaffe etwas nach Mais und Metall schmeckt haben wir uns mittlerweile schon gewöhnt. Nachdem wir auch etwas Müsli verdrückt haben, folgen wir der nun ansteigenden und wieder etwas besser befahrbaren Piste über eine Hügelkette. Oben angekommen, breitet sich vor uns ein großes Tal aus, in dem zahlreiche Jurten stehen. Überall rauchen die Schornsteine und einige Menschen sind vor den Zelten am arbeiten. Hunderte von Tieren, meist Pferde und Schafe grasen auf der Ebene. Wir haben noch nie solche großen Herden gesehen. Dann steht wieder einmal eine Flussdurchquerung an. Dieses Mal müssen wir raus aus den Schuhen. Der Fluss ist eindeutig zu tief und fließt zu schnell, um ihn durchfahrend oder balancierend zu durchqueren. Während wir uns auf die Querung vorbereiten kommt ein neugieriger Hirte vorbei. Shakehands und der übliche Smalltalk: „Atkuda? Kuda?“ - Wohin? Woher?
![]() |
Flussdurchquerung für Weicheier |
Bei Korbinians kläglichem Versuch seine Schuhe ans andere Ufer zu schmeißen, landet einer unter lautem Gelache meinerseits im Fluss und treibt davon. Allerdings merke ich schnell, dass die Situation etwas ernster ist, da der Fluss so schnell fließt, dass Korbinian Mühe hat dem Schuh am Flussufer hinterher zu rennen. Doch im Endeffekt geht alles gut und er fischt den nassen Schuh wieder aus dem Wasser.
![]() |
![]() |
![]() |
Flussdurchquerung für Hartgesottene | Idylle | Weite! |
![]() |
Unterwegs... |
Nach drei weiteren Durchquerungen warten schon wieder zwei Männer auf uns. In Anbetracht der sprachlichen Barriere geben sie aber recht schnell auf und wir ziehen weiter.
An der nächsten Brücke entschließen wir uns dazu den großen Fluss wieder zu queren und auf unserer ursprünglichen Seite weiter nach Naryn zu fahren das erscheint uns irgendwie sicherer. Die Straße folgt dem leichten Auf und Ab der Landschaft und neben uns grasen ein paar Pferde am Flussufer. Über uns ist die Wolkendecke mittlerweile wieder aufgerissen und die Sonne scheint. Wir fühlen uns wie im Paradies. Es ist einfach so herrlich ruhig und friedlich hier. Plötzlich taucht hinter uns ein Auto auf - das erste seit drei Tagen. Hupen. Winken. Und vorbei ist es. Als wir einige Kilometer weiter direkt an einer Jurte am Straßenrand vorbeifahren, werden wir von den zwei Autofahrern heran gewunken.
Einer von ihnen ist Melis, Journalist aus Bishkek, der mit seinem sechstausend Dollar Jeep gerade vom Jagdausflug wiedergekommen ist und Bärenreste, sechs Murmeltiere und ein Marco-Polo-Schaf im Kofferraum aufbewahrt. Zusammen mit seinem Jagdkumpanen besucht er gerade seine Freunde in der besagten Jurte. Wir sind froh endlich eine Pause zu bekommen und als sich über uns gerade eine dunkle Wolke zu entleeren beginnt, flüchten wir alle in die Jurte. Während der Regen auf den Bergen als Schnee niedergeht, ist es drinnen mollig warm, denn vom Herd geht eine wohltuende Wärme aus. Während wir Chay gereicht bekommen, blicken wir uns ehrfürchtig in der riesigen Jurte um. Unsere Augen müssen groß wie die von Kindern an Weihnachten sein. So vieles ist fremd und es gibt einfach unzähliges zu entdecken. Der Boden der Jurte ist mit zahlreichen Teppichen ausgelegt, auf denen wir vor dem niedrigen Tisch sitzen. Um uns herum befindet sich das rote Holzgestell der Jurte, dass fast wie ein Gitter aussieht und auch benutzt wird: Als Kleiderhaken zum Beispiel. Außen liegt auf dem Gitter dann der graue Filz auf, der die Jurte vor Wind und Wetter schützt. Interessanterweise sind von innen noch zahlreiche Taschen eingearbeitet, sodass hier von der Zahnbürste bis zur Sonnenbrille alles nützliche steckt.
![]() |
In der Jurte |
Während wir uns mit Melis unterhalten, wird nebenher das Mittagessen zubereitet. Die Mutter bricht neben uns die Knochen und teilt das blutige Fleisch in kleinere Stücke. Da nun ja noch zwei hungrige Radfahrer mehr da sind, wird Großmutter kurzerhand mit der Axt und einem großen Stück Fleisch vor die Tür geschickt.
Dann bekommen wir auch zum ersten Mal Kumys gereicht. Von dem Nationalgetränk der Kirgisen hatten wir schon viel gehört und gelesen bis jetzt aber noch nie die Gelegenheit es zu probieren. Wir bekommen eine Schale der wie normale Milch aussehenden Flüssigkeit gereicht und wagen einen Schluck. Das ganze schmeckt allerdings viel dünnflüssiger als normale Milch, leicht sauer und alkoholisch und recht stark nach Tier. Schließlich darf hier nicht vergessen werden zu sagen, dass Kumys vergorene Stutenmilch ist. Nun, wir müssen uns eingestehen, dass es gar nicht so schlecht schmeckt wie man glaubt. Nachdem das Fleisch eine Stunde lang kochte, gibt es den Hauptgang: Marco Polo Schaf. Auch wenn das Schaf eigentlich auf der roten Liste steht und damit nicht gejagt werden darf, haben wir die Gelegenheit das frisch geschlachtete Fleisch zu essen. Dazu gibt es Kartoffeln und Zwiebeln alles zusammen in einem Topf. Auch wenn der Geschmack von Schafsfleisch gewöhnungsbedürftig ist, mundet uns das Essen vorzüglich. Endlich wieder einmal Fleisch! Hinterher sollen wir noch eine Schüssel Kumys trinken, denn das sei gut für die Verdauung. Nach zwei Schlucken ist mir allerdings nicht gerade gut zu mute und ich verdrücke mich mal kurz vor die Jurte. Ohgottohgottohgott ist mir plötzlich schlecht!! Ich fühle mich so elend, als müsste ich gleich das gesamte Schaf wieder von mir geben. Aber ich kann denen doch jetzt nicht so einfach vor die Jurte?! Was denken die denn dann? Zu spät... die umstehenden Männer nehmen es mit Erheiterung auf und lachen... „Es sei wohl die große Höhe", bekomme ich zu hören. Ich glaube allerdings eher, dass es an so viel ungewohntem Essen liegt.
Nach einem Foto verabschieden wir uns schlussendlich in die Kälte und fahren noch ein paar Kilometer unter Schauern, bis wir uns schließlich in einem Flusstal niederlassen.
![]() |
Regen |