Um Punkt zwölf Uhr stehen wir beim SMB auf der Matte, um die Permits abzuholen. Und siehe da, sie sind sogar fertig! Damit haben wir nun nicht gerechnet. Also flitzen wir auf unseren Rädern zum Militär, um dort endlich die langersehnte Unterschrift zu bekommen. Als Korbinian an die Tür klopft, kommen gerade ein paar Offiziere heraus. Wo wir denn herkämen? Ah... aus Deutschland? „Sprechen Sie Deutsch?“ vernehmen wir den fast akzentfreien und einzigen Satz, den der Mann auf deutsch kann. Über seine Spontaneität grinsend, zeigen wir ihm die Permits und er macht einem Kollegen gleich deutlich, wo er zu unterschreiben hätte. Außerdem fragt er uns nach unserer Route, die auf dem Permit vermerkt werden muss. Ich erläutere ihm so gut es geht wo wir lang wollen und dann macht sich der freundliche und kompetent wirkende Offizier leider auch schon auf den Weg ins Wochenende. Sein Untergebener verschwindet mit unseren Papieren im Gebäudeinneren. Erst eine Viertelstunde später lässt er sich wieder blicken. „Fünf Sekunden noch“ sprachs und verschwindet erst einmal seelenruhig in einem Auto, um zusammen mit seinen Freunden Wodka zu trinken. Und das am helllichten Tage. Nach weiteren fünfzehn Minuten verschwindet er wieder ins Gebäude, kommt dann wieder heraus um sich gelangweilt etwas umzusehen und dann wieder zu verschwinden. Wir harren weiterhin brav in der sengenden Mittagshitze aus. Jetzt nur nicht aufregen. Aber wieso geht das denn nicht voran? Und wieso hat der Kerl gar kein Interesse an uns? Zu gut gehen mir die Worte des Leiters unserer Reiseagentur durch den Kopf. In einer Mail schrieb er: „It will be better if you meet Mr. Baiduletov instead of Asanov as second one is actually a terrible freak”. Wir sind uns über eines fast sicher. Der nette Offizier war bestimmt Baiduletov und der Kerl, der uns jetzt sein Desinteresse auf breiter Front zeigt ist Herr Asanov.
Dann kommt er endlich wieder und will meinen Pass sehen, den er gleich an sich reißt und einem Soldaten in die Brusttasche steckt. Hoppla... Ich solle mich verdammt noch mal bewegen und fünf Kopien von dem Permit machen! Dass der nette Herr direkt aus der Kaserne kommt ist im Ton nicht zu überhören. Mein Pass bliebe so lange hier. Und wo bitteschön soll ich hier kopieren? !? Es herrscht Ratlosigkeit. Na ja, in dem Laden da vorne. Los, los, los! Als ich gerade mein Rad satteln will, werde ich zurückgehalten. Das bleibt hier! Ich gehe gefälligst zu Fuß. Und soll mich endlich beeilen!
Im Laden (wie sollte es auch anders sein) konnte man mir natürlich keine Kopien machen. Ich renne also zurück und bin schon gespannt, wie ich beim Überbringen der freudigen Botschaft wohl empfangen werde. Glücklicherweise reagiert der Offizier gelassen und gibt mir meinen Pass auch gleich zurück. Dann machen wir die Kopien halt selber, heißt es...
Weitere zehn Minuten später halten wir schließlich das Permit in der Hand. Endlich!
Wir versuchen noch etwas Müsli in Naryn zu bekommen und scheitern dabei kläglich. Obwohl wir wissen, dass es „Mjusli“ auf russisch heißt, kann niemand etwas damit anfangen. Auch im zwanzigsten Laden haben wir keinen Erfolg. Alle Läden hier scheinen das gleiche Sortiment zu haben. Müsli kennen sie aber alle nicht.
Zurück im Gästehaus streifen wir uns schnell die Fahrradkleidung über und beladen die Räder. Es ist kurz nach drei Uhr und wir rechnen uns noch einige Chancen aus, heute ein paar Kilometer gutzumachen. Fix sind Brot und Wasser gekauft und als wir noch schnell unsere Benzinflasche auffüllen wollen, verpennt der Tankwart, dass nur 1 Liter in die Flasche geht. Schon sprudelt das Benzin aus der Flasche heraus und alles auf die Erde.
Dann verlassen wir endlich die Stadt auf der teilweise asphaltierten Straße und erklimmen einen ersten Pass für heute. Größtenteils sind die Autos wieder nicht in der Lage auf den unbefestigten Abschnitten die Steigung von zwölf Prozent zu befahren. Dann steigen alle außer dem Fahrer aus und schieben an. Immer wenn sie zwanzig Zentimeter gutgemacht haben, werden Steine hinter die Räder gelegt um eine kurze Verschnaufpause zu haben. Anschließend wird weiter geschoben. Wir möchten nicht wissen wie lange manche Leute so brauchen, bis sie ihr Auto über den Pass bekommen haben.
Nach dem Pass folgt eine kurze Abfahrt durch die erosionsgeprägte Landschaft und uns fällt wieder einmal auf, wie sehr Kirgistan das Land der Kontraste ist. Während uns vorgestern ein seichtes, grünes Tal begleitete, fahren wir heute durch rotbraune Erosionsformen, die in der grünlichen Landschaft eingebettet sind.
Wir lassen auf dem weiteren Weg einen Truckstop hinter uns, an dem zahlreiche chinesische Laster stehen. Schließlich befinden wir uns hier auf der Hauptverkehrsstraße in Richtung China. Die meisten der Laster auf dem Weg nach China sind übrigens meterhoch mit Schrott beladen. Alles was irgendwie aus Metall besteht, wird perfekt aufeinander gestapelt und rostet auf dem Weg in Richtung Volksrepublik vor sich hin. Wir fragen uns ernsthaft von wo das ganze Altmetall herkommt.
Auf dem nächsten Pass erwartet uns ein Bild von Kirgistans Präsident Akaev, der im Land nicht allzu beliebt ist. Kein Wunder, denn wer glaubt ernsthaft an eine Demokratie, wenn der Präsident bereits seit fünfzehn Jahren an der Macht ist? Jedoch halten sich die selbstverherrlichenden Darstellungen des Präsidenten in Kirgistan eher in Grenzen. In Turkmenistan hat der Präsident Turkmenbashi(!) sogar die Sternbilder und Feiertage nach sich umbenannt...
Aber eine ganz andere Sache fasziniert uns viel mehr, als Akaev. Es ist der Gebirgszug At-Bashi, der vor uns liegt. Zunächst fällt die Landschaft sanft in Richtung eines großen Tals ab, um dann fast senkrecht aufzusteigen. Die Gebirgskette scheint aus Hunderten von Berggipfeln zu bestehen, deren Spitzen auf rund 4500 Meter schneebedeckt sind.
Nach der Passhöhe verlassen wir die Hauptverkehrsstraße und suchen uns ab jetzt unseren eigenen Weg nach China. Der Normaltourist und der Lastwagenfahrer würde jetzt der asphaltierten Straße folgen und so zum Torugartpass gelangen, der die Grenze zu China öffnet. Wir hingegen wollen die Hintertür nutzen und über eine kaum bekannte Straße den langen Weg außen um jenen vor uns liegenden Gebirgszug herum zu nehmen. Und genau dafür brauchen wir auch das Permit.
Für heute reicht uns das Strampeln jedoch und wir beschließen unser Zelt direkt vor dieser großartigen Bergkulisse aufzustellen. Als wir unser Brot, geräucherten Käse sowie Tomaten zum Abendbrot essen und auf die im Licht der untergehenden Sonne rot glühenden Bergspitzen schauen, müssen wir uns eines wehmütig eingestehen: Diesen Blick werden wir mit niemandem von zu Hause teilen können. Er gehört nur uns ganz alleine. Fotos werden niemals das ausdrücken können, was wir in diesem Moment fühlen: Freiheit!