At-Bashi liegt im schönsten Morgenlicht, als wir uns aus dem Zelt bewegen. Angenehmerweise ist es ausnahmsweise mal nicht so kalt, da wir nur auf zweitausend Metern Höhe übernachtet haben. Wir schieben zurück auf die Straße, rollen durch die wellige Landschaft und kommen wiedereinmal an einem prachtvollen Friedhof vorbei. Den nehmen wir mit seinen zahlreichen Mausoleen genauer unter die Lupe und finden in einem Mausoleum sogar die Kleidungsstücke des Verstorbenen, die man ihm dort hineingelegt hatte. Wie gruselig...
Die anderen Grabstätten sind alle mit einem Foto versehen und einige bestehen aus richtigen Tempeln, während andere ein Jurtengestell aus Metall um ihr Grab herum haben.
Als wir Ak-Mus erreichen, vermuten wir dort einen großen Markt, da heute Sonntag ist. Jedoch finden wir nur zwei Läden vor und betreten den, vor dem ein Pferd angebunden ist. Auf der Straße spielen die Kinder mit ihren Reifen und wir kommen mit einem Englischlehrer aus Bishkek ins Gespräch. Als ich ihm erzähle, dass wir zum Torugart fahren wollen, meint er, dass es dorthin aber in die entgegengesetzte Richtung ginge. Nein, nein... wir wollen ja extra den Umweg fahren! Ungläubig beäugt er mich und meint dann „too dangerous“, es gäbe dort zu viele Wölfe.
Vom Kioskbesitzer bekommen wir für unser Vorhaben dann noch ein Kilogramm Äpfel und eine Flasche Sprite-Imitat geschenkt. Wir bedanken uns und fahren weiter.
Beim nächsten Autofahrer, auf den wir treffen wiederholt sich das Spiel von eben. Zum Torugart? Nein, da geht es doch in die umgekehrte Richtung. Aber wir wollen nach Ak-Sai und den langen Weg fahren. „Ak-Sai?“, sein Gesicht nimmt verwunderte Züge an, „dann passt aber auf die vielen Wölfe dort auf!“
Mittlerweile haben wir wiedereinmal das Gefühl auf das Ende der Welt zuzufahren. Die weite Ebene, die von einigen Bergen umgeben wird, steigt leicht an und der Blick fällt zurück auf das weit entfernte Ak-Mus, den letzten Ort für die nächsten Tage. Wir queren einen großen Fluss und kommen anschließend an einigen wenigen Hütten vorbei. Von dort werden wir natürlich gleich heran gewunken und bekommen Kumys eingefüllt. Während die Frauen gerade die Stiele der frisch gepflückten Johannesbeeren entfernen, toben die drei Kleinkinder um uns herum. Sie freuen sich tierisch über unseren Besuch und laufen die ganze Zeit singend und lachend hin und her. Da wir in Ak-Mus anstatt Brot nur ein paar Croissants mit widerlichem Benzingeschmack bekommen haben, nutzen wir gleich die Gelegenheit die Familie nach etwas Brot zu fragen; wir würden auch bezahlen. Im Endeffekt bekommen wir das Brot geschenkt und machen uns wieder auf den Weg.
Nach nur wenigen Kilometern überkommt uns großer Hunger und wir lassen uns am Straßenrand nieder um das Brot zu essen. Nachdem wir ordentlich geschmaust haben, überkommt mich allerdings eine leichte Übelkeit, die langsam aber sicher in einen elendigen Brechreiz übergeht. Ich hocke am Straßenrand und gebe das gesamte gerade Gegessene wieder von mir. Anschließend geht es mir wieder etwas besser, ich lege mich für zehn Minuten einfach in den Schatten des Rades und döse tatsächlich richtig ein. Dieses verdammte Kumys! Nun ist das schon das zweite Mal, dass ich mich davon übergeben muss. Ich scheine es weder auf vollen noch leeren Magen zu vertragen. Ich schwöre mir nie wieder etwas von dem Zeug zu trinken! Korbinian hat seltsamerweise jedoch keine Beschwerden. Wahrscheinlich ist mein Magen nur zu empfindlich.
Als es dann weiter bergauf geht, merke ich, dass ich deutlich geschwächt bin. Trotzdem quälen wir uns auf der Schotterpiste weiter bergauf und erreichen schlussendlich schiebend den Pass Kyndy auf 3400 Metern. Hier soll sich auch der Checkpoint für das beginnende Sperrgebiet befinden und so werden wir bereits kurz vor der Passhöhe von einem Späher auf dem Pferd empfangen, der unsere Pässe und das Permit sehen will. Er lässt uns ohne Probleme durch und ein paar Meter weiter kommt erst der eigentliche Checkpoint. Als die Soldaten uns erspähen, kommt einer auf uns zu, der andere holt erst einmal schnell sein Gewehr. Wir reichen den beiden die Papiere und keiner hat etwas zu beanstanden. Es gibt keinerlei Probleme! Juhu! Kaum sind wir außer Sichtweite, reichen wir uns triumphierend die Hände. Wir haben es also geschafft!
Die Straße führt leicht bergab und wir können hinter den Hügeln die Berge an der Grenze Chinas erspähen, die durch die tiefstehende Sonne bereits rötlich angeleuchtet werden. Die Berge sehen seltsamerweise ganz anders aus, als sonst. Vielleicht einfach chinesischer? Einige sind schroff und haben spitze Kuppen, wohingegen andere massiv und plump wirken, da deren Kuppen richtig abgeflacht sind. Plötzlich rückt jedoch ein dreißig Meter hoher Wachturm in unser Gesichtsfeld. Moment mal, noch eine Kontrolle? Wir hoffen, dass es genauso schnell wie zuvor gehen wird, als ich an der Schranke der kleinen Militärbasis dem Soldaten unsere Pässe in die Hand drücke. Doch der verschwindet damit erst einmal im Hauptgebäude und wir haben Zeit uns etwas umzusehen. Neben der Straße sind zwei Schützengräben ausgehoben und die Basis wird von einem Stacheldrahtzaun umgeben. Der Soldat im Wachturm lehnt mit seinem Gewehr gerade am Zaun.
In der Zwischenzeit kommt der halbe Stützpunkt vorbei, um die Fremden einmal zu betrachten. Immer wieder läuft es gleich ab: Shakehands und die üblichen Fragen. Nur der Offizier kommt nicht wieder. Es vergeht eine halbe Stunde. Es vergeht eine ganze Stunde. Kein gutes Zeichen. Die Sonne geht unter. Es wird deutlich kälter. Wir ziehen uns alle unsere Kleidungsstücke an. Dann kommt er zusammen mit fünf anderen Soldaten endlich wieder.
Wir sollen unsere Karte rausholen. Auf der zeigen sie uns dann, dass unser Permit für die Standart-Strecke von Naryn zum Torugart gilt. Nicht für unsere Variante mit der Hintertür durch das Ak-Sai-Tal. Scheiße! Verdammt! Was machen wir denn jetzt? Ich habe es doch die ganze Zeit geahnt. Der Offizier in Naryn hatte uns falsch verstanden als ich ihm die Route erläuterte. Ich lasse mich nicht beirren und vor allem nicht abwimmeln, schüttele den Kopf und fahre mit dem Finger auf der Karte unsere geplante Route ab. Jetzt heißt es einfach stur bleiben. Wenn wir sie lange genug nerven, lassen sie uns vielleicht durch. Die Männer verschwinden wieder ins Gebäude und wir werden mit unserer Ungewissheit der Kälte überlassen. Nach einer weiteren geschlagenen Stunde, in der wir nicht wissen, was als nächstes passieren wird, kommt einer der Männer wieder. Er stellt sich mir mit seinem Namen vor und macht mir verständlich, dass wir morgen wohl durch dürften, aber für die Nacht hier unser Zelt zwischen dem Stacheldrahtzaun und dem Schützengraben aufstellen sollen. Unsere Pässe würden sie aber zur Sicherheit behalten. Und noch etwas: „Wenn ihr euch zu weit vom Zelt entfernt...“. Mit einer eindeutigen Geste macht er ein Gewehr nach. Wir schlucken. Ja, wir haben verstanden.
Bevor er geht, will er noch wissen, ob wir einen Schnaps wollen, nein danke. Ich nutze aber die Situation nach etwas zu essen zu fragen. Das wäre kein Problem entgegnet er und kurze Zeit später werden wir in das Wachhäuschen neben der Schranke geführt, wo wir eine Schüssel mit gekochtem Yakfleisch bekommen. Das Fleisch schmeckt fantastisch. Es ist richtig saftig und zart eine richtige Delikatesse! Nach dem Essen vergewissert sich unser Leutnant noch einmal, ob wir auch wirklich keinen Schnaps wollen. „Nein, danke. Wir sind Sportler.“ „Aber gerade für Sportler...“. Wir müssen alle lachen und legen uns dann schlafen. Dabei gehen uns die wildesten Gedanken durch den Kopf. Wir liegen hier vor einem Militärstützpunkt im Zelt und werden bei zu hastigen Bewegungen erschossen. Wenn das unsere Familien wüssten. Es ist wohl besser, dass sie es nicht wissen...