Am nächsten Morgen wachen wir im Zelt und nicht in irgendwelchen Wolfsmägen auf. Wer hätte auch etwas anderes erwartet? An dem Gerücht mit den Wölfen scheint doch nicht so viel dran zu sein. Wir hörten nicht mal einen heulen.
Es war wieder einmal kalt in der Nacht geworden. Das Zelt ist mit Raureif bedeckt, das Wasser in den Flaschen gefroren und es stürmt ein eiskalter Wind. Im Windschatten des Zelts frühstücken wir, da es anders nicht auszuhalten ist.
Nach dem Aufbruch werden wir als erstes mit einer erneuten Flussüberquerung konfrontiert. Meist stehen noch ein paar Brückenreste von anno dazumal irgendwo im Flussbett herum, nutzbar sind diese jedoch nie. Stattdessen folgt man einfach den Reifenspuren im Geröll. Einige Abschnitte bestehen auch heute wieder aus tiefem Sand und andere aus losem Geröll, sodass wir zwischen den Flussarmen immer wieder schieben mussten. Nach einer halben Ewigkeit erreichen wir wieder die Piste, die nun immer ganz minimal bergauf führt, zusammen mit dem stetigen Gegenwind und etwas Wellblech trotzdem kräfteraubend ist. Nach mehreren Kilometern der Einsamkeit kommen dann die ersten Anzeichen der Zivilisation in Sicht - dieses mal in Form von zwei elektrifizierten Stacheldrahtzäunen. Die Grenze zwischen den früheren Feinden Sowjetunion und China war wirklich einmal gut gesichert. Heute, da die Länder Verbündete sind, steht der Zaun auch nicht mehr unter Strom.
Später erreichen wir auch den nächsten Checkpoint und ein Soldat erwartet uns bereits an der Straße. Anscheinend musste er von einem der zahlreichen Wachtürme, die wir immer wieder gesehen hatten, über unser Kommen informiert worden sein. Wie gut, dass wir in der Nähe dieser Türme nie fotografierten. Dann dürfen wir weiter und netterweise ruft der Soldat schon einmal beim nächsten Checkpoint an. „Die werden euch nur durchwinken. Da gibt’s keine Probleme.“
Anschließend verläuft die Straße für mehrere Kilometer schnurstracks geradeaus. Links davon drei Stacheldrahtzäune und dahinter ein Kolonnenweg. Fast zeitgleich sprechen wir unsere gleichen Gedanken aus: So muss es damals in der DDR auch ausgesehen haben.
Dann kommt der versprochene Checkpoint, der uns nur durchwinken würde. An der Straßensperre warten schon drei junge Soldaten, die meinen wir sollten mal mit zu ihrem Befehlshaber kommen, der an der Basis auf uns wartet. Hmpf! Ich dachte die winken uns nur durch? Brav schieben wir zum hinkenden, alten Befehlshaber, der uns abgehackt und ohne eine Miene zu verziehen auffordert „Pasport, Karta“ vorzuzeigen. Dann werden wir in ein kleines, verwinkeltes Büro geführt. Wer weiß, was die hier mit uns anstellen werden. Uns ist irgendwie etwas mulmig zumute. Dann werden Pässe und Landkarten genau studiert und man lässt uns wieder gehen.
Korbinian und ich schauen uns an: Was war denn das? Von wegen Durchwinken... pah! Da musste wohl jemand seine ganze Macht ausspielen. Scheißladen! Aber was soll es wir sind ja durch und passieren einen weiteren Wachturm, der jedoch nur mit einer täuschend echten Puppe besetzt ist und nach einer weiteren Kurve kommen wir an der Grenzstation des Torugart vorbei.
Korbinian und Tristan |
Nun haben wir ihn also vor uns. Den Pass über den Tiejo nach China einreiste und der die spektakulärste Möglichkeit sein soll in die Volksrepublik einzureisen. Fast willkürliche Schließungen von beiden Seiten machen den Grenzübergang kompliziert und meistens auch teuer. Vielleicht ist er gerade deswegen so ein Mythos? ! So schlimm sieht er von hier jedenfalls gar nicht aus. Allerdings ist er recht gut gesichert. Die Kalaschnikows werden durch moderne Schnellfeuerwaffen ausgetauscht und ein neuer Terminal überwacht die Straße. Wie einfach es doch jetzt wäre. Dort hinter den Hügeln liegt schon China. Und wir haben keine Visa. Es ist fast zum Heulen das Land ist so nah und doch so weit weg. Was würden wir für einen Blick geben...
Von den Soldaten werden wir erst einmal quer über den gesamten Torugart-Komplex geschickt und fahren dementsprechend völlig orientierungslos am Checkpoint vorbei. Wild pfeifend und winkend werden wir von den Soldaten dort zurückbeordert. Hoppla. Während der Offizier einen flüchtigen Blick auf unsere Pässe wirft, werden wir von einem Monstrum von Deutschem Schäferhund angebellt und ein anderer Soldat kommt angelaufen. „Ey! Kitaj? Kitaj?” Wir schütteln den Kopf. Nein, nach China wollen wir nicht. Oder eher dürfen nicht...
Erneuter Blick auf die Karten |
Dann geht es auf der holperigen Straße vom Torugart weg. Wir haben eigentlich gehofft, dass die Hauptverkehrsstraße nach China etwas besser wäre. Dem ist aber leider nicht so. Für die Nacht lassen wir uns dann am bezaubernden Chatyr-Köl nieder, in dessen glasklaren Wasser sich die Viertausender spiegeln. Dieser Gebirgssee, dessen Name auf kirgisisch „Himmlischer See“ heißt, ist mit über 3500 Meter Höhe der höchste See Kirgistans und bildet mit seinem sumpfigen Ufer einen perfekten Ruheplatz für Kraniche und Gänse auf ihren langen Reisen. Auch wir lassen uns am Ufer nieder, verstopfen unseren Filter mit dem äußerst schmutzigen Wasser und rollen dann unsere Schlafsäcke aus um die Nacht unter dem sternenklaren Himmel zu verbringen.