Die Nacht ohne Zelt ist wie immer ein richtiges Erlebnis. Immer wenn ich einmal kurz aufwache, blicke ich in den Sternenhimmel über mir. Milliarden von Sternen stehen am Firmament und die Milchstraße leuchtet so hell, dass man das Gefühl hat sie anfassen zu können so nah scheint sie. Man muss nicht lange suchen, bis man an irgendeiner Stelle des Himmels eine Sternschnuppe aufleuchten sieht. Und dazu ist es ganz still. Keine Autos. Kein Lärm. Nichts. Es sind einfach nur wir und die unzählbaren Sterne über uns.
Als es hell wird, sind der Schlafsack und unsere Räder mit einer dünnen Eisschicht überzogen. Wir packen zusammen und radeln von einigen Lastern begleitet in Richtung Norden. Dabei werfen wir noch einmal einen Blick auf den See, dessen Wasser heute morgen spiegelglatt liegt und sich die schroffen Berge mit dem dunkelblauen Himmel dahinter ganz deutlich darin abzeichnen.
Auf der Abfahrt von dem kleinen Pass Tus Bel treffen wir auf einen verlebten Lastwagenfahrer, der gerade sein defektes Fahrzeug repariert. Ob wir wohl Wodka hätten? Nein, sicher nicht, wir sind doch Sportler! So redeten wir uns bis jetzt immer heraus, wenn es um Alkohol oder Zigaretten ging. Aber etwas Geld für Wodka? 30 Som nur... nix da! Dann möchte er noch unbedingt eine Zigarette mit mir rauchen und redet die ganze Zeit auf uns ein. Schließlich springt er in sein Führerhaus, um etwas zu suchen, was er uns zeigen will. Als er nach fünf Minuten immer noch am kramen ist, wird es uns endgültig zu blöd und wir sehen zu, dass wir weg kommen.
Eingestaubt von den wenigen Lastern, die jedes mal riesige Staubwolken aufwirbeln, erreichen wir den letzten Checkpoint. Im Wachturm sitzt der Wachmann mit einem riesigen Fernglas, das auf ein Stativ montiert ist, da es zu schwer ist um es zu halten. Ohne Permit hier hereinzukommen dürfte fast unmöglich sein. Auch an der letzten Kontrolle verläuft alles problemlos und wir erreichen halb verhungert den letzten Pass für heute. Uns muss irgendwie ein Fehler bei der Einkaufsplanung unterlaufen sein. Wir kauften nur jede Menge Abendessen, aber nichts, was man zwischendrin essen könnte. Und die wenigen Kekse und Schokoriegel sind schon lange aufgebraucht. Glücklicherweise taucht bald eine Jurte auf und wir fragen nach etwas Brot. Netterweise werden wir sogleich nach drinnen gebeten. Von drinnen beobachten wir, dass an der Straße schon die ganze Zeit ein kleiner Bus irgendeiner Reiseagentur hält. Ob man da mal nach Schokolade fragen könnte...? Mein Gott! So verzweifelt sind wir nun schon. In just dem Moment kommen schon zwei Europäer zur Jurte hinein. „Guten Tag!“ tönt es zur Begrüßung der Kirgisen auf deutsch.
„Hallo“, schallt es von mir zur Begrüßung der Deutschen zurück. So läuft es halt. Man trifft sich mitten im kirgisischen Nirgendwo. Nachdem wir uns ein bisschen mit den nicht sehr gesprächigen Leuten unterhalten haben, fragen die beiden, ob wir nicht eventuell Interesse an ihrem Lunchpaket hätten, welches sie heute morgen in Kashgar bekommen haben - sie würden es sonst wegschmeißen...
Der Frage bedarf es nicht zweimal! In den Tüten sind Fleisch, Erdnüsse, zwei chinesische Würste, zwei Eier, Gurken, eine Tomate, Marmelade, Brot, Stäbchen(!) und Servietten, sowie chinesisches Gebäck. Kaum haben wir die Jurte mit einem zusätzlichen Brot verlassen und sind außer Sichtweite, fallen wir über das Paket her. Endlich Essen!! Gierig stopfen wir alles in uns hinein und machen eine ganz neue Erfahrung: Wir wussten bis jetzt nicht, dass man sich so über Essen freuen kann. Und noch etwas wird uns an den beiden Touristen klar. So zu reisen kann einem keinen tiefgreifenden Einblick in ein Land geben. Rein in die Jurte, ein Becher Kumys geleert, wieder raus und weiter im Bus, um das Programm abzuarbeiten. Nein, das wäre nichts für uns.
Gut gesättigt radeln wir weiter bergab und kommen anschließend wieder in der Ebene an, die nördlich von At-Bashi liegt. Wir sehen den Gebirgszug jetzt also wieder von der Seite, die wir als erstes gesehen hatten. Wir überlegen noch etwas hin und her, ob wir nun noch nach Tash Rabat fahren sollen oder nicht. Schließlich entscheiden wir uns gegen den kleinen Umweg, da wir dort zahlreiche Touristen, wie die von vorhin vermuten. Und da wir ja lieber Kirgistan abseits der ausgetretenen Pfade sehen wollen, biegen wir auf eine schlechte und sandige Piste in Richtung Bayetova ab. Eine Straße, die höchstens von drei Autos am Tag befahren wird, aber die direkteste Verbindung zur Stadt ist. Die Straße steigt abermals ganz ordentlich an, da wir im Begriff sind das Tal wieder zu verlassen. Zum Abendessen verwerten wir dann noch die Gurke aus dem Lunchpaket und verziehen uns ins Zelt, um dem aufziehenden Gewitter zu entgehen.