Die ganze Nacht über regnet es und auch am Morgen ist die erflehte Wetterbesserung nicht eingetreten. Stattdessen verbergen die Wolken die Bergspitzen und es nieselt während wir zusammenpacken.
Kaum sitzen wir wieder auf dem Rad, fängt es richtig an zu schütten. Na klasse... Wenigstens kann man jetzt die Schlaglöcher ohne Probleme erkennen, da sie tief unter Wasser stehen. Aber wehe ein Auto fährt neben einem direkt in eins hinein.
Es geht tendenziell weiter bergab, bis wir wieder am Fluss Naryn stehen, der hier schon um einiges breiter ist, als wir ihn das erste mal gesehen haben. Von hier fließt er weiter in Richtung Westen, um dort in den Syr-Daya überzugehen, der schließlich im Aralsee mündet.
Mit Musik in den Ohren läuft sogar alles recht flott und ich trete wie ein Besessener in die Pedale. Jedenfalls so lange, bis wir von einer Gruppe Männer in einem Minibus angehalten werden. Sie brauchen Wasser und da ich vermute, dass es für ihren Motor ist, reiche ich ihnen eine Flasche. Stattdessen trinken sie diese reihum leer und lachen unaufhörlich. „Dollar? Dollar?“, scherzt der eine. Nein, nun ist mal Schluss, ihr habt schon mein Wasser ausgetrunken. Ich klopfe ihm stattdessen auf die Schulter und er wird mittlerweile auch von seinen Freunden zurück in den Bus gezerrt, damit er mit seinem ständigen „Dollar?“ endlich aufhört.
Dann biegen wir von der asphaltierten Straße ab, queren den Fluss und kommen am letzten Dorf vor dem Gebirgssee Song-Köl vorbei, wo wir Melis treffen. Der Mann hat eine Blechwanne mit zwei Rädern hinter sein Pferd gespannt und befördert darin seine Gattin und ihr Baby.
Der Regen hat die Piste leicht aufgeweicht und so merken wir deutlich den erhöhten Kraftaufwand beim Treten. Dann kommt auch noch ein riesiges Schlammloch, in dem die Reifen halb versinken und den gelben Dreck mit jeder Drehung umherschleudern. Alles ist dick verkrustet vor Schlamm. Na super, die Räder drehen sich kaum noch, da sich der Dreck dick an den Bremsen und Felgen angesammelt hat. Als ich meinen Drahtesel gerade etwas vom Dreck befreie, quietscht hinter mir die Bremse eines Fahrrades und von Korbinian kommt ein verdutzter Laut. Es ist ein anderer Reiseradler auch aus Deutschland, auch aus der Nähe Hamburgs. Die Welt ist klein. Friedhelm ist zweiundzwanzig und vor sechzehn Monaten in Deutschland gestartet. Jetzt ist er mit seinem an allen Stellen notdürftig reparierten Rad inklusive angebrochenem Rahmen hier. Damit möchte er es noch mindestens durch das Pamirhochgebirge schaffen. Wir wünschen ihm viel Glück... Nachdem wir uns nach einer Stunde wieder voneinander losreißen können, haben wir das Gefühl mal wieder viel zu gut ausgerüstet zu sein. Fünfzig Prozent der Radfahrer, die wir bis jetzt getroffen haben, waren mit einem Bruchteil der Qualität unserer Ausrüstung unterwegs.
Nachdem es über Mittag tatsächlich trocken ist, ja teilweise sogar etwas auflockert, setzt jetzt wieder der Regen ein. Irgendwann ist von Regen nicht mehr zu sprechen. Nein, es kommt eine Sintflut von oben herunter. Die Straße wird immer steiler, die Kleidung immer durchweichter, die Straße immer rutschiger. Scheeeeeiße! Was machen wir hier eigentlich? Außerdem wird es eiskalt und meine Beine quittieren langsam den Dienst. Als wir dann die Wand mit den zahlreichen Kehren sehen, die uns noch fünfhundert Meter höher bringen würde, geben wir endgültig auf und stellen unser Zelt keinen Meter von der Straße auf. Einen anderen Platz gibt es hier im schmalen Tal eh nicht. Finish! Keinen Meter mehr weiter. Im Zelt kochen wir dann ein super leckeres Abendessen und ziehen uns warme und trockene Kleidung an. Was für eine Wohltat. Nach einem Kaffe fallen wir todmüde in die Schlafsäcke, während der Regen immer stärker wird. Wir wissen, dass wir genau die richtige Entscheidung getroffen haben!