Zurück im Chaos
bei Ak-Suu - Bishkek

Habe ich etwa geschrieben, wir hätten den schlechtesten Zeltplatz der Tour am gestrigen Tag gehabt? Ich glaube ich muss meine Aussage revidieren. Wer schon einmal einen Kartoffelacker gesehen hat, wird sich vorstellen können wie schwierig es ist auf einem solchen ein Zelt aufzustellen. Wer noch keinen gesehen hat oder sich gerade nichts darunter vorstellen kann, dem sei gesagt, dass ein solcher Acker zwischen den Pflanzreihen tiefe Furchen aufweist. So verläuft die Erde wellenförmig mit Höhenunterschieden von gut und gerne zwanzig Zentimetern. Dementsprechend mag es anspruchsvollen Campern Kopfzerbrechen bereiten, einen Platz für den Schlafsack zu finden.

Wir lösen das Problem allerdings elegant und schlafen jeder in seiner eigenen Furche, die gerade so breit ist, dass wir darin liegen können. So ist es die erste Nacht, in der wir nicht aufeinander rollten, da wir ja wie die Ölsardinen eingequetscht in unseren Furchen liegen.

Die letzte Etappe steht an

Am nächsten Morgen packen wir alles zum letzten Mal zusammen und rollen bergab in Richtung Hauptverkehrsstraße. Da heute der 1. September ist und in der gesamten GUS heute die Schule wieder beginnt, begegnen wir unterwegs zahlreichen kleinen Kindern, die sich extra für ihren ersten Schultag besonders herausgeputzt haben. Die Mädchen tragen alle schwarze Röcke mit weißen Blusen und haben meist auch noch weiße Schleifen in den dunklen Haaren. Die Jungen hingegen tragen schwarze Hosen mit weißen Hemden und meist auch noch ein Jackett dazu. Da die meisten von ihnen nicht älter als sechs Jahre sind, sehen die kleinen „Pinguinkolonien“ am Straßenrand besonders niedlich aus.

Dann erreichen wir die Hauptstraße und bald die erste Stadt. Schrecklicherweise sind wir mit dem dichten Verkehr, den zahlreichen Menschen und Geschäften sowie den zahllosen Werbeschildern völlig überfordert. Hier wird eine Autotür aufgestoßen, dort rennt uns jemand direkt vor das Fahrrad. Die Gefahren sind allgegenwärtig. Und wir wissen nicht wo wir zuerst hinsehen sollen. Nach wenigen Kilometern fahren wir erst einmal rechts ran und werfen uns einen vielsagenden Blick zu. Was war denn das bitte? Nach einem Monat ohne Gestank, Lärm und Menschenmassen sind wir mit den vielen zu verarbeiteten Eindrücken völlig überlastet. Wie haben wir das vorher bloß immer ausgehalten?

Friedhof

Um unsere Nerven wieder etwas zu beruhigen, machen wir lieber erst einmal eine Pause an einem Melonenstand und verdrücken insgesamt drei Melonen zum Frühstück, sodass uns hinterher richtig schlecht ist. Anschließend schaffen wir es weiter zu fahren und atmen erst wieder auf, als zum ersten Mal eine unbebaute Fläche neben der Straße, sprich eine Wiese, auftaucht. Bis jetzt hatten sich die Häuser so aneinandergereiht, dass die Orte fließend ineinander übergingen. Wenige Kilometer weiter beginnt die Bebauung jedoch wieder, die dann in die Außenbezirke Bishkeks übergeht. Wir haben es also fast geschafft. Als wir wieder die ersten Ampeln vor uns haben, holt uns ein junger Mann auf seinem Rad ein, der uns durch den Straßenverkehr verfolgt und uns in ein Gespräch verwickeln möchte. Allerdings ist das leichter gesagt als getan. Ständig muss man alle Autotüren, Minibusse, Ampeln und seine Mitmenschen im Auge haben. Und dann fährt da noch einer mit seinem Rad ständig in seiner Nähe und ruft irgendetwas.

Vollbeladener Laster

Als wir am Osh-Basar ankommen wissen wir gar nicht wo wir mit unserem Fahrrad lang fahren sollen - solche Menschenmassen versuchen gerade die Straße zum naturgemäß überlaufenen Basar zu queren.

Mittlerweile kennen wir uns schon ohne Stadtplan in Bishkek aus, da die Stadt nach sowjetischem Muster, sprich im Schachbrettstil, gebaut ist. Daher nehmen wir eine weniger befahrene Straße und kommen an einem kleinen Laden vorbei, der sich Sportgeschäft schimpft... Uns zieht es beiden automatisch die Mundwinkel hoch: Hier begann nun also vor langen fünf Wochen unsere Reise. Und hier entschied sich, dass wir Glück haben sollten sie überhaupt durchführen zu können. Ja, das ist lange her. In den fünf Wochen ist so viel passiert, dass es uns schon wie eine halbe Ewigkeit vorkommt, hier mit Tiejo und Oliver aus Holland gestanden zu haben.

Beflügelt von der Tatsache wieder in vertrautem Gebiet zu fahren, machen wir uns auf den Weg zum Gästehaus, das am anderen Ende der Stadt liegt. Es ist ein angenehmes Gefühl wieder in den Hinterhof einzubiegen, von dem aus alles begann und Mittags um zwölf unseren Gastgeber Nanchan aus dem Bett zu klingeln.

Jetzt kann endlich wieder das Leben beginnen: Die Dusche und den Herd nutzen. Und der 24-Stunden Supermarkt ist gleich um die Ecke. Genauso wie das Internetcafe. Und der Fernseher: Terror im Irak. Bomben in Nepal. Hunger im Sudan. Geiseldrama in einer kaukasischen Schule. Nichts hatte sich geändert, seit wir weg waren. Die Welt ist immer noch genauso schlecht wie vor fünf Wochen. Allerdings haben wir es innerhalb des letzten Monats ohne Fernseher tatsächlich vergessen und müssen uns leider auch daran erst einmal wieder gewöhnen.