Ende der Reise
Bishkek und Heimreise

Die restlichen zwei Tage in Bishkek verbringen wir damit ordentlich zu essen, andere Reisende zu treffen, uns auszutauschen und die notwendigen Sachen für die Rückreise zu organisieren. Dazu gehören auch die Kartons, in denen wir unser Rad gerne verpacken wollen. In dem Sportgeschäft, wo auch Oliver seine Kartons orderte, fragen wir nach welchen und bekommen ein Nicken und „Da, da! Savtra!“ zu hören. Morgen sollen sie angeblich welche haben. Am nächsten Tag haben sie natürlich keine Kartons da und wir stehen vor der schwierigen Frage, wo wir nun noch etwas organisieren sollen. Wir ziehen durch die Straßen und quatschen einem Schuhverkäufer einen Pappkarton ab. Auch an einem Supermarkt bekomme ich noch etwas. Den Rest finden wir anschließend an einem Grundstück, vor dem zahlreiche große Kartons stehen. Perfekt! Vollbeladen machen wir uns auf den Weg zum Minibus und ich höre Korbinian nur sagen: „Schau mal! Die Spanier!“ Bitte wie? Ich drehe mich um – und tatsächlich! Die sechs Spanier, die wir zuletzt vor drei Tagen gesehen hatten, laufen uns nun inmitten der Stadt über den Weg. Sechs Hände wollen geschüttelt werden und wir reden noch kurz über unsere weiteren Pläne.

Natürlich darf auch der obligatorische Souvenireinkauf nicht fehlen. Korbinian kauft sich ein T-Shirt und wir beide je einen der traditionellen kirgisischen Hüte. Als wir das Einkaufszentrum gerade wieder verlassen, sehe ich schon aus dem Augenwinkel, wie ein Polizist auf uns zukommt.

„Pasport!“ – oh nein! Nun tritt am letzten Tag tatsächlich noch das ein, wovor wir immer Angst hatten: Von einem Polizisten kontrolliert zu werden, der erst unseren Pass und dann das Geld „sehen“ will...

„Salam“, werfe ich ihm stattdessen entgegen, grinse und gehe weiter. Korbinian hat nicht ganz so viel Glück. Der Polizist reicht ihm zur „Begrüßung“ die Hand und lässt dann aber nicht mehr los. Geschickt windet sich Korbinian heraus und ist kurze Zeit später wieder bei mir. Die Erleichterung fällt von uns ab und wir lachen, dass wir den Typen so leicht haben veräppeln können.

Doch die Rache der Polizei soll noch folgen: Als wir am Abend alle gemütlich im Gästehaus sitzen, klingelt es an der Tür. Die Polizei steht dort. Jedoch nicht wegen uns, sondern wegen unseres Gastgebers Nanchan. Neuerdings gibt es in Bishkek nämlich pro Wohngebiet einen eigenen Polizisten. Und dieser hier hat es sich zur Aufgabe gemacht(,) Nanchan das Leben schwer zu machen. Schließlich besitzt er keine offizielle Lizenz, um Gäste aufnehmen zu dürfen. Quasi illegal betreibt er hier sein Gästehaus, um sich seinen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Denn als studierter Ingenieur hat er auf dem Arbeitsmarkt keine Chancen.

Dabei erleben wir am letzten Abend noch einmal wie korrupt die hiesige Polizei ist. Zu allem was Nanchan ihnen erzählt erwidern sie stur, dass sie das nicht glauben. Legt er dann entsprechende Dokumente vor, sind sie der festen Überzeugung, dass die Dokumente gefälscht sind. Nachdem sie die Daten aller Gäste aufgenommen haben und eine halbe Stunde vergangen ist, ist der Spuk zu Ende. Allerdings auch nur, weil Nanchan eine horrende „Strafe“ von 1000 Som bezahlt hat. Wir alle sitzen ratlos und aufgeregt im Wohnzimmer beisammen, da keiner weiß, was eigentlich vor sich geht. Dann kommt der sichtlich aufgelöste Nanchan herein und wir versuchen ihm etwas Trost zuzusprechen. Er dagegen jammert von den Missständen in seinem Land und der Verzweiflung, die sich bei ihm breit macht. Besonders über die Korruption und Ignoranz der Politiker regt er sich auf – verständlicherweise.

Plötzlich geht die Tür auf und ein anderer Reisender kommt herein. Er hat von dem ganzen Spektakel gerade eben nichts mitbekommen, steht jedoch gänzlich neben sich und lässt sich bleich in einen Stuhl fallen.
„Nanchan, kannst du mir bitte erklären in was für einem Land du lebst?“
Wir verstehen zunächst alle gar nichts. Dann erzählt er seine Geschichte: Er war in einem Restaurant und zahlte sein 250 Som kostendes Essen mit einem 1000 Som Schein. Als Wechselgeld bekommt er dann aber 500 Som zu wenig und die Unterstellung ja nur mit einem 500 Som Schein bezahlt zu haben. Als er lautstark protestiert, ruft der Besitzer die Polizei, welche sogleich erscheint, dem Reisenden eine Pistole an die Schläfe hält und ihn mit den Worten „You leave now“ aus dem Restaurant befördert. Uns fällt fast die Kinnlade herunter. Was ist denn heute mit der Polizei los? Um die Sache abzurunden geben wir auch noch unsere Geschichte von dem Polizisten, der unsere Pässe sehen wollte zum besten. Die ganze Reise über hatten wir nie Probleme mit irgendjemandem. Und am letzten Abend summiert sich tatsächlich alles zusammen.

Allerdings gibt es auch noch eine freudige Überraschung an diesem Abend. Ein weiterer deutschsprachiger Reisender kommt mit Rucksack und Bart zur Tür hinein. Wir gucken ihn an und Korbinian und mir fällt gleichzeitig ein „Ach ne“ aus dem Mund. Irgendwoher kennen wir den Kerl doch. Nur kann keiner von uns beiden sich dran erinnern, wo wir ihn schon einmal gesehen hatten. Dann endlich fällt der Groschen! Es ist Norbert aus dem Internetcafe in Karakol. Lustigerweise haben wir uns auch am Song-Köl nur knapp verpasst und nun stellt sich heraus, dass wir mit dem selben Flieger zurück nach Deutschland fliegen werden.

Schneller als gedacht vergehen die zwei Tage in Bishkek und so ist bald der Zeitpunkt des Aufbruchs angesagt. Als wir dann gegen Fünf Uhr abends abziehen, noch einmal ins Internet gehen und ein letztes Mal günstig einkaufen, wird es Zeit das restliche Geld zu wechseln. Denn davon haben wir noch eine ganze Menge. Schließlich rechneten wir damit doppelt so viel auszugeben, wie wir tatsächlich taten. Doch die erste Wechselstube ist gerade dabei zu schließen. Die zweite auch. Verdammt! Wenn jetzt alle Wechselstuben schließen, haben wir ein echtes Problem! Wir schießen die Straße entlang, immer auf der Suche nach der nächsten Wechselmöglichkeit. Dann finden wir endlich eine mit akzeptablem Kurs, wo man mir allerdings nur die Hälfte des Geldes wechseln kann. Dann sind die Dollarreserven erschöpft. Euro gibt es sowieso nicht. Die nächste Wechselstube hat leider weder Euro noch Dollar und so werden wir erst beim fünften Versuch richtig erfolgreich.

Der letzte Sonnenuntergang

Während die Sonne langsam untergeht rollen wir ein letztes Mal zwischen den zahlreichen Minibussen hindurch, fahren auf den Straßen Bishkeks umher, blicken ein letztes Mal auf die Plattenbauten und die rotgelbe Fahne Kirgistans. Wir sind uns sicher, in dieses wundervolle Land noch einmal zurück wollen. Während wir auf der kaum befahrenen Straße in Richtung Flughafen fahren, versinkt die Sonne gerade vor uns am Horizont und taucht den gesamten Himmel in ein leuchtendes orange. Von mir fällt eine richtige Last ab. Ich weiß, dass ich bald wieder zu Hause sein werde. Ich weiß, dass wir eine abenteuerliche Reise gesund und ohne Zwischenfälle gemeistert haben. Vor meinem geistigen Auge sehe ich unsere Namen wie in einem Abspann vor dem Hintergrund aus Maisfeldern und orangeleuchtendem Himmel durchlaufen. Es ist so schön und kitschig wie in einem Film. Wehmütig aber gleichzeitig auch voller Zufriedenheit atmen wir noch einmal tief durch. Atmen ein letztes Mal die Luft Zentralasiens ein. Winken ein letztes Mal den zahlreichen Kindern am Straßenrand und kommen an den zahllosen Melonenständen vorbei. Auf einer Brücke über die Straße stehen drei junge Frauen und jubeln uns von oben zu. Laut anfeuernd stehen sie dort oben und winken uns - den zwei Radfahrern mit dem vielen Gepäck.

Eines wissen wir: Das Leben ist schön.


Ende.