Am nächsten Morgen ruft Aeroflot bei uns im Gästehaus an. Auch wenn sie uns am Vortag versprachen die Räder nach Bishkek zu liefern, wird nun doch nichts daraus. Wir müssen noch einmal zum Flughafen kommen. Nach dem Frühstück versuchen wir den Minibus zu finden, der zum Flughafen fährt. Allerdings haben wir keinen blassen Schimmer wo er losfährt, noch welche Nummer er hat. Von einer Frau erfahren wir in einem Gespräch, das vom Gebrauch von Händen und Füßen dominiert ist, wo der Bus abfährt. An der Bushaltestelle macht uns ein Mann irgendwie verständlich, dass der aktuelle voll ist, der nächste aber gleich kommt. Kaum taucht der auf, stürmen Massen von Leuten auf den Bus und wir rennen um unserer Leben, um noch einen letzten Sitzplatz zu ergattern.
Ein Platz in Bishkek, im Hintergrund die rotgelbe Fahne |
Nach einer halben Stunde erreichen wir den Flughafen und werden durch die stockfinstere Gepäckhalle geführt, an deren Ende ein ebenso finsteres Büro aufgeschlossen wird. Und tatsächlich! Unsere Räder sind da! Dann wollen die beiden Angestellten unsere Pässe sehen und notieren die Namen. Ganz nebenbei fällt dabei der Satz „20 Euro“. Scheiße! Jetzt stehen wir hier im finstersten Teil des Flughafens ganz alleine mit zwei Beamten, die uns ausnehmen wollen. Vor der Reise haben wir abertausend Geschichten über korrupte Beamte gelesen und uns immer wieder gefragt, wie man ihnen in solchen Situationen am besten begegnen soll.
Ja, was nun? Wir halten es in dem Moment für besser die Forderung einfach überhört zu haben. Als Reaktion bricht ein Redeschwall auf uns ein und wir verstehen nun wirklich nichts mehr. Dann schreibt der eine sein Verlangen auf und wir lehnen entschieden mit einem „Njet, njet“ ab. Die offizielle Aushändigung der Räder ist mittlerweile wohl sowieso beendet und so nehmen wir einfach unsere Räder und schieben mit einem unguten Gefühl durch die finstere Halle zurück. Hoffentlich holen sie uns nicht zurück, dann wären wir jetzt wohl dran...
Als wir gerade wieder im bevölkerten Teil des Flughafens angekommen sind, werden wir zurück gewunken. Wir sollen noch einmal reinkommen. Verdammt! Die lassen uns bestimmt nicht wieder raus bevor wir zahlen. Da sie aber nicht nachlassen, schauen wir noch einmal vorsichtig um die Ecke und stellen fest, dass unser Gepäck noch einmal durchleuchtet werden muss man weiß ja nie bei diesen Europäern...
Während des Zusammenbaus der Räder sind wir natürlich die Attraktion des Flughafenpersonals und sie erleben auch live und in Farbe, wie für uns eine Welt zusammenbricht: Korbinians Felge hat einen riesigen Schlag am Hinterrad, der nicht mehr herauszuzentrieren ist. Die Felge ist an ihrer Schweißnaht sogar zur Hälfte auseinandergebrochen.
Eine kaputte Felge |
Es ist zum Heulen. Diese Reise scheint uns tatsächlich nicht gegönnt zu sein. Wo sollen wir denn jetzt bitte in Zentralasien eine neue Felge auftreiben? Auch die Touristeninformation in Bishkek kann uns nicht weiterhelfen. Fahrradläden gäbe es hier keine. Nur einen Kerl, der alte Fahrradteile sammelt und daraus neue Räder baut. Auf dem Weg zu ihm kommen wir an einem Sportgeschäft vorbei, das sogar sechs Räder billigster chinesischer Qualität führt. Jedoch würde noch nicht einmal die Schaltung passen. Und eine einzelne Felge wollen die sowieso nicht verkaufen. Es müsse schon das ganze Rad sein. Für 100 Dollar...
Selbst der einzige Outdoorladen des Landes hat seine Fahrradabteilung nicht mehr. Unsere Stimmung nähert sich immer weiter dem Tiefpunkt. Es kann doch einfach nicht sein, dass in der ganzen Stadt nichts aufzutreiben ist!
Lagebesprechung bei einer kalten Cola: Wir beschließen noch einmal zum Sportgeschäft zurückzugehen, um die Räder zu beäugen. Zur Not müssen wir ihnen halt doch das ganze Fahrrad abkaufen wir haben ja keine Wahl.
Als wir an dem Laden ankommen, stehen gerade zwei andere Europäer davor und wir kommen natürlich gleich ins Gespräch. Sie sind Holländer, heißen Tiejo und Oliver und sind auch mit dem Fahrrad hier. Gemeinsam betrachten wir Korbinians Felge und kommen zu dem Ergebnis, dass diese tatsächlich „Pretty fucked up“ ist. Eine Idee, wo es in Bishkek einen Fahrradladen gibt, haben sie auch nicht; raten uns aber nach Kasachstan zu fahren, da es in Almaty einen recht großen Laden gibt, der fast alles führt. Na ja, nach Kasachstan wollten wir ja nun eigentlich nicht. Aber die Idee klingt schon so verrückt, dass ich mich schon beinahe mit ihr angefreundet habe. Die beiden verabschieden sich und ich betrete den Laden, um mir das Billigrad noch einmal anzusehen. Als ich wieder auf die Straße trete, sind die beiden allerdings erneut da.
Korbinian, Oliver und Tiejo vor dem Sportgeschäft |
„Nun, wir haben uns folgendes gedacht: Oliver fliegt morgen nach Hause und braucht sein Rad ja dann nicht mehr. Wir könnten euch sein Hinterrad leihen.“
Wie bitte? Ich habe mich doch wohl verhört, oder? Da treffen wir ganz zufällig zwei andere Radler in dieser großen Stadt und wir bekommen dann auch noch deren Hinterrad? Kaum zu glauben! Unsere Mundwinkel rutschen sofort ein Stück höher. Fast wie ein Traum kommt es uns vor, als wir uns bedanken und für Montag bei der Reiseagentur verabreden, wo Olivers Rad weilt. Nun müssen wir zwar noch zwei weitere Tage in der Stadt abhängen, aber was soll’s dafür bekommen wir dann ein ganz neues Hinterrad!