Nun ist der Tag der Wahrheit gekommen. Wir werden hoffentlich unser Hinterrad bekommen wenn sich die Holländer das nicht noch im letzten Moment anders überlegt haben. Mittlerweile können wir es auch gar nicht mehr abwarten aufzubrechen. Jeden Morgen stehen wir auf dem Balkon und blicken auf die gigantischen Berge. Und jeden Morgen müssen wir uns wehmütig eingestehen, dass wir zwar gerne sofort dorthin fahren würden, aber es im Moment einfach nicht geht.
Am Vormittag erledigen wir alle nötigen Einkäufe, da wir genügend Essen bis zur nächsten Stadt, Karakol, mitnehmen wollen. Nervigerweise haben die Supermärkte an wirklich jedem Regal einen Mitarbeiter stehen, der uns beim Einkauf observiert.
Anscheinend traut man den Ausländern genauso wenig wie den eigenen Landsleuten. Als wir Milchpulver suchen, geraten wir an einen der Angestellten und zeigen immer abwechselnd im Lexikon auf die Wörter für „Milch“ und „Pulver“. Der Mann versteht gleich und läuft los zum Waschpulver. Und die Milch sei da drüben. Ähm... so war das eigentlich nicht gemeint. Wir schütteln den Kopf und zeigen erst wieder auf Milch und dann auf Pulver. Der Herr zeigt synchron erst aufs Waschpulver, dann auf die Milch. Wieder Kopfschütteln. Nein, nein...
Erst als wir die Worte für Milch und Pulver schnell hintereinander aussprechen, scheint es „Klick“ zu machen und man zeigt uns das Milchpulver. Diese Simplizität des Denkens bei manchen Menschen hier bestätigen uns auch andere später noch. Mit einem vollbeladenen Einkaufswagen begeben wir uns zur Kasse und bezahlen unerwarteter Weise nur 800 Som (15 Euro). Durch das mitteleuropäische Preissystem geprägt, hätten wir eigentlich den vierfachen Preis erwartet.
Nachdem wir die Lebensmittel an der Herberge abgeliefert haben, begeben wir uns per Trolleybus an das andere Ende der Stadt, um Tiejo um Zwölf an der Reiseagentur zu treffen und das Rad abzuholen.
Bushaltestelle aus Sowjetzeiten | Trolleybus von außen... | ...und innen |
Ausbau des Hinterrades |
Gemeinsam bauen wir Olivers Hinterrad aus, verbiegen beim Abnehmen der Kassette noch mein Werkzeug und stellen fest, dass Olivers Felge ein Ventilloch hat, das für französische Ventile passend ist. Da wir nur Schläuche mit dickerem Autoventil besitzen, haben wir nun keinerlei Ersatzschläuche dabei. Aber das Risiko müssen wir jetzt eingehen.
Anschließend betreiben wir noch etwas Smalltalk und beschließen am nächsten Tag zusammen mit Tiejo aufzubrechen, da auch er zum Issyk-kul will. Bald machen wir uns glücklich und mit neuem Hinterrad auf den Rückweg.
In der Stadt bringen wir den Tankwart noch ins Zweifeln, da wir ihm die Benzinflaschen für den Kocher unter die Nase halten. Auf dem Weg zurück kommen wir an einem der wenigen modernen Bauten Bishkeks vorbei: „Plaza“ prangt ein goldgelber Schriftzug auf der blau verspiegelten Glasfront des vierstöckigen Gebäudes. Das Kaufhaus sieht schon von außen so elitär aus, dass wir uns nur vorsichtig ins Innere wagen.
Drinnen sieht es aus wie in einem europäischen Kaufhaus. Alles ist sauber und glänzend. Rechts von uns stehen zahlreiche Digitalkameras in den Glasvitrinen, links wartet die gesamte westliche Parfümwelt auf uns. Wir trauen unseren Augen kaum, dass es das alles hier gibt. Herrenuhren für 25.500 Som beispielsweise. Es ist nicht zu übersehen, dass wir im Kaufhaus der Schönen und Reichen gelandet sind, welches nicht nur an den Artikeln und Preisen, sondern auch an den Menschen, die hier herumlaufen zu erkennen ist. Sie unterscheiden sich kaum von Europäern zumindest von der Kleidung her. Nach den heruntergekommenen Außenbezirken, die wir gerade noch gesehen haben, kommt uns der ganze Laden fast ein bisschen wie eine verkehrte Welt vor. Sogar Wachmänner stehen hier an jeder Ecke. Und mit einem machen wir auch gleich Bekanntschaft, da er unsere roten Benzinflaschen misstrauisch beäugt. Er hält uns gleich an und möchte wissen, was wir in den Flaschen haben und wir wissen ganz genau, dass Benzin die falsche Antwort wäre. Nach einigem hin und her ist er glücklicherweise überzeugt, dass nichts gefährliches drin ist und er lässt uns gehen. Trotzdem folgt er uns für den Rest der Zeit auf Schritt und Tritt und kann es sich nicht verkneifen noch einmal nachzuhaken, indem er auf die Flasche zeigt und „Kabuuuum????“ meint. Als ich verneine, ist er sichtlich erleichtert und klopft mir noch einmal lachend auf die Schulter.
Platz in Bishkek |
Dann machen wir uns auf den Rückweg und können uns im letzten Moment unter den Hauseingang retten, da dann ein heftiger Hagelschauer niedergeht. Unser Norweger hat allerdings nicht so viel Glück: In just diesem Moment wird er von der pakistanischen Botschaft vor die Tür gesetzt. Dort hatte man extra die ganze Zeit zum Fenster geschaut und nur darauf gewartet, dass das schlechte Wetter einsetzt um ihn dann ohne seinen Pass vor die Tür zu setzen. Dementsprechend frustriert und bis auf die Knochen durchnässt kommt er im Gästehaus an und berichtet von der Unfreundlichkeit in der pakistanischen Botschaft er sollte nicht der letzte sein, der uns das erzählt...
Am Abend besuchen wir noch ein letztes Mal das Internetcafe und legen uns zum vorerst letzten Mal in einem Bett schlafen. Morgen wird es endlich los gehen! Wie lange wir darauf nun schon warten!