Endlich! Es geht los! Nachdem wir unser gesamtes Gepäck und die Räder die vier Stockwerke heruntergetragen haben, sitzen wir im Sattel und rollen auf die Straße, die bis zum Zentrum immer leicht bergab führt. Dementsprechend schießen wir mit vierzig Stundenkilometern zwischen den zahlreichen Minibussen und Autos durch. Immer wieder hält ein Minibus überraschend an und wir müssen beim Ausschwenken Acht geben nicht vom ebenfalls überholenden Verkehr übersehen zu werden. Was sich im ersten Moment recht stressig anhört, kann nach einiger Zeit sogar richtig Spaß bringen, da man ständig im Slalom um irgendwelche Hindernisse herumfahren muss. Auf dem Weg zu unserem Treffpunkt mit Tiejo werden wir von ausnahmslos allen Passanten begafft. Mit unseren Rädern sind wir hier die Attraktion.
Nachdem auch Tiejo sein Rad mit dem, am Lenker befestigten, Quietschhund reisefertig gemacht hat, gehen wir in einem Cafe frühstücken und ich bestelle mir ein „Sandwich mit Gemüse und Ei“. In der Erwartung einen riesigen leckeren Sandwich zu bekommen, bin ich etwas sehr enttäuscht, als er tatsächlich vor mir steht. In Wirklichkeit ist das Brötchen so groß wie die Tomatenscheibe darüber, die zusammen mit Gurkenscheiben mit einem Spieß befestigt ist. Ganz oben dann der eigentliche Witz: das Ei. Dieses ist in etwa so groß wie eine Olive.
Und das soll ein Gemüsesandwich mit Ei sein?! Ich fühle mich irgendwie verarscht und auch Tiejo und Korbinian können sich das Grinsen nicht verkneifen.
„Ah! When I ordered it for the first time, I also expected a big sandwich. And all I got was this…”, muss Tiejo natürlich noch hinzufügen. Mit einem zynischen Grinsen bedanke ich mich bei ihm: “You could have told me before…” Also ordere ich im Endeffekt noch zwei weitere bis sich ein erstes Sättigungsgefühl einstellt.
Endlich unterwegs |
Nachdem Tiejo sich beim Einkaufszentrum noch die Bedienungsanleitung für seine neu erworbene Kamera abgeholt hat, verlassen wir dann endlich Bishkek. Der Verkehr ist wie immer chaotisch und wir sind froh über Tiejos am Rad befestigte nervtötende Hupe, die die Autofahrer uns wenigstens im letzten Moment noch hören lässt, als sie uns eh schon fast die Vorfahrt genommen haben. Die Straße zieht sich durch viele langgezogene Ortschaften und ist angenehmerweise fast flach, sodass wir schnell unterwegs sind und gegen Mittag das vierzig Kilometer entfernte Ivanovka erreichen.
In einem Straßencafe erhalten wir natürlich nur eine in russisch verfasste Speisekarte, sodass Tiejo improvisieren muss, um Salat mit Hühnchen und Schaschlik zu bestellen. Dazu imitiert er mit Geräuschen und den Armen ein Hühnchen. Nicht nur wir müssen lachen, sondern auch die Angestellte ist mit den drei verrückten Europäern überfordert. Trotzdem bekommen wir tatsächlich kurze Zeit später genau das aufgetischt, was Tiejo bestellt hatte.
Mittagessen |
Als wir wieder aufbrechen sind unsere Beine schwer wie Blei. Auch wenn der Schaschlik fast nur aus Fett bestand, muss er wohl direkt in unsere Beine gewandert sein. Wir kommen kaum voran und quälen uns ein paar Kilometer weiter in der Hoffnung auf einen Melonenstand zu treffen. Dort etwas zu entspannen und Melone zu essen das wäre es jetzt! Wie vom Himmel gerufen, treffen wir auf eine gerade Melone essende Familie am Straßenrand und werden gleich zum Mitessen eingeladen. Immer wieder wird eine Scheibe abgeschnitten. Und zwar so lange, bis nichts mehr übrig ist. Die saftige und köstliche Wassermelone schmeckt uns vorzüglich und wir verabschieden uns mit klebrigen Händen für die Weiterfahrt.
Die Melonengang |
Kirgisische Landschaft |
Zu unserer linken Seite erheben sich die braunen und verbrannten Berge Kasachstans. Zur Rechten liegt zunächst ein dreißig Kilometer breites Tal, an das sich dann die ebenfalls tausendfach aufgefalteten, jedoch saftig grünen Viertausender Kirgistans anschließen.
In Tokmak machen wir schon wieder eine Pause, da wir kaum noch Kraft in den Beinen haben. Wir sind heute morgen einfach viel zu schnell gestartet. Nachdem wir ein Eis (oder auch zwei) konsumiert haben, möchte ein Kirgise mit mir die Sonnenbrille tauschen und ich muss etwas auf ihn einreden, bevor ich meine wiederbekomme.
Anschließend quälen wir uns weiter und erreichen schließlich Kemin. Unsere Entscheidung steht fest: Keinen Meter weiter! Wir sind am Ende!
Nachdem wir einen Passanten gefragt haben, wo wir übernachten können, werden wir vom Gläubigen Murat zur örtlichen Moschee geführt, hinter der wir das Zelt direkt aufstellen dürfen. Nachdem Murat und die anderen Gläubigen unsere Räder ausprobiert haben, kochen wir uns ein vorzügliches Mahl und spendieren uns, zur Entschädigung für die harte Anfangsetappe, einen aus Melone und Kaffee bestehenden Nachtisch. Da die Muslime fünf Mal täglich beten, ist es mittlerweile Zeit für das Abendgebet. Zuvor haben sich die Gläubigen ausführlichst gewaschen, was so aussieht, dass man sich erst die Hände wäscht, anschließend Mund und Nase ausspült und sich dann das ganze Gesicht wäscht. Anschließend ist erst der rechte, dann der linke Unterarm dran. Jetzt streicht man sich über den Kopf, wobei man mit der rechten Hand zum Hinterkopf und anschließend wieder zurück zieht. Dann werden die Ohren gereinigt. Mit den Spitzen der Zeigefinger feuchtet man das Innere, mit dem Daumen gleichzeitig die Außenseite der Ohren an. Mit den anderen drei Fingern streicht man sich kurz über den Nacken. Schließlich wäscht man erst den rechten, dann den linken Fuß vom Knöchel bis zu den Zehen.
Wir ziehen die Schuhe am Eingang der Moschee aus. Hinter uns steht der ganz in weiß gekleidete Imam und ruft lautstark und halb singend zum Gebet auf. Wir betreten die komplett dunkle Moschee, die nur von einer Kerze erleuchtet wird und tasten uns in der Dunkelheit vorsichtig und erwartungsvoll zu den anderen Männern vor. Dann stehen wir alle aufrecht in einer Reihe in Richtung Mekka und haben die Hände vor dem Bauchnabel übereinander gelegt. Vor uns steht der Imam, der seine Verse singend rezitiert.
„Subhânaka allahumma wa bihamdika wa tabâraka-smuka wa ta'âladschadduka wa la ilâha ghairuk“, tönt es. Preis sei Dir, oh Allah und Lob sei Dir und gesegnet ist Dein Name und hoch erhaben ist Deine Herrschaft und es gibt keinen Gott außer Dir.
In der Moschee |
Bald darauf folgt die Niederwerfung, sadschda genannt. Mehrmals hintereinander senken wir den Kopf. Stirn, Nase, Handflächen, Knie und Zehenspitzen berühren den Boden. Dann herrscht für einige Sekunden Totenstille. „Allaaaaah akbar“. Die leere Moschee hat so eine Akustik, dass wir jedes mal eine Gänsehaut bekommen, wenn der Imam wieder zu singen beginnt. Es hallt jeder Ton seines Gesangs wider. Wir erheben uns erneut. Dabei schielen wir ständig nach rechts und links um auch ja nichts verkehrt zu machen. Schließlich ist alles gänzlich unbekannt für uns. Anschließend wird weiter gebetet, wobei die Hände an den kleinen Fingern zusammengelegt werden und man eine Art Schale bildet, aus der man abzulesen scheint. Zum Ende der Zeremonie werden die Hände dann über das Gesicht geführt, wo sie dann auseinander gleiten. Ganz so, als ob man sich waschen würde.
In der Moschee |
Als wir das Gebäude wieder verlassen sind wir völlig hin und weg. So etwas haben wir noch nie erlebt und uns stellten sich richtig die Nackenhaare auf, wenn wir den Imam nach Sekunden der Totenstille wieder singen hörten. Gleichzeitig sind wir auch erstaunt darüber, dass wir so wenig über diese Religion wissen. Nachdem wir noch etwas Tee mit den Männern getrunken haben und das Nachtgebet um halb 11 beendet ist, gehen wir allesamt schlafen. Was für ein erster Tag!