Über Fischsuppen, steile Berge und eine Echse
Kemin - See Orma Tokouckoe

Um fünf Uhr morgens werden wir durch den Ruf des Muezzins geweckt; sind aber so müde, dass wir gleich wieder einschlafen. Als wir dann aus dem Zelt schauen herrscht im Gegensatz zum wolkigen Vortag knallblauer Himmel. Allah akbar! Allah ist groß. Das Gebet der Männer zu unserem Wohl hatte tatsächlich etwas gebracht. Nach unserem Frühstück und einer weiteren Einladung zum Tee, der hier Chay genannt wird, brechen wir auf, um uns zunächst einmal mit Lebensmitteln zu versorgen.

Wir verlassen die Stadt unter dem Jubel zahlreicher Kinder, die alle an den Straßenrand geschossen kommen und uns begrüßen. „Salam! Hello! Ciao!“ hagelt es von allen Richtungen auf uns ein. Wir winken und rufen so gut es geht zurück. Man fragt uns, ob wir zum Issyk-kul, dem größten See und ganzen Stolz der Kirgisen wollen. Wenn wir nicken, strahlen die Gesichter voller Stolz. Zwei kleine Jungen verfolgen uns sogar zu Fuß und geben mächtig Gas, um mit uns Schritt halten zu können. Doch schnell müssen sie in Anbetracht unserer Geschwindigkeit aufgeben.

In Kemin Tiejo on the road

Es ist unglaublich wie viel einem Ortsdurchfahrten in einem Land, wie Kirgistan geben können. Meist wird man am Beginn der Ortschaft von einem Kind erspäht, das dann lauthals „Tuuuuuuurist!“ schreit und seine Kameraden herbeitrommelt. So zieht es sich dann bis zum Ende des Ortes hin: Die Kinder jubeln, die Erwachsenen verfolgen einen in den meisten Fällen weniger euphorisch und schauen einem interessiert hinterher.

Häufig hört man auch nur ein Pfeifen von irgendwo. Blickt man sich suchend um, so sieht man Menschen von den verschiedensten Orten winken: Sitzend in Bäumen oder auf Häuserdächern, mit der Sense im Feld, zu Pferd oder auch nur im eigenen Garten. Scheinbar beherrschen es die Kirgisen auf allen Gegenständen zu pfeifen, um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Auf einem Finger, auf zwei, auf der ganzen Hand und wahrscheinlich sogar auf den Füßen beherrschen sie es.

Wir hingegen folgen dem Fluss Chuy, der teilweise auch die Grenze zu Kasachstan bildet und irgendwo hoch oben in den Bergen entspringt. Genau dort wollen wir hin. So windet sich die Straße im Flusstal um zahlreiche Kurven und führt mit einem leichten bergauf und ab immer weiter in die Berge hinein, die steil in den Himmel aufragen. Durch die enge Schlucht wird der Wind so gebündelt, dass er uns stark vor sich her schiebt. Dadurch geht es erfreulicherweise leicht voran. Nachdem wir die Flussseite gewechselt haben, öffnet sich das enge Tal und geht in eine liebliche Ebene über. Von Hungergefühlen gequält betreten wir eine Touristenjurte, in der für uns gekocht wird – allerdings gegen Bezahlung. Der Hauptgang besteht dabei aus leckerer Fischsuppe. Der einzige Haken ist nur, dass der Fisch komplett in das ölige Wasser gelegt wurde. Und wenn ich ganz schreibe, meine ich natürlich inklusive Kopf, Augen und Schwanz.

Entlang des Chuy

Dazu bekommen wir zum ersten Mal Kurut serviert. Die weißen getrockneten Joghurtbällchen hatten wir in den letzten Tagen ständig an Straßenständen gesehen, wussten aber nie worum es sich dabei handelt. Ein erster Biss... nein danke! Ich bringe es im Gegensatz zu Tiejo und Korbinian wenigstens übers Herz die Hälfte des sauren, pflaumengroßen Balls zu essen. Als wir unsere Fischsuppe ausgelöffelt und den Chay ausgetrunken haben, überkommt uns eine akute Müdigkeit und wir legen uns einfach direkt neben den Tisch auf den Rücken – nur für fünf Minuten...
Netterweise bekommen wir sogar jeder ein riesiges Kissen von den Besitzern der Jurte für unsere Ruhepause.

Aus den fünf Minuten werden fünfzig und wir setzen uns anschließend wieder aufs Rad um den Chuy erneut zu überqueren. Anstatt der Hauptroute zum Issyk-kul zu folgen, verlassen wir die Hauptstraße in Richtung Kochkor. Diese weniger befahrene und landschaftlich angeblich nettere Straße führt dafür jedoch über einen 2200 Meter hohen Pass. Während wir uns auf der steilen Straße vorwärts arbeiten, haben wir einen immer besseren Blick auf die hinter uns liegende Gebirgswand.

Es geht bergauf - Korbinian und Tiejo Keppler

Schnell fallen wir immer weiter auseinander und ich lande zwischen Korbinian an der Spitze und Tiejo am Ende. Jedoch sind die Abstände bald so gigantisch angewachsen, dass Tiejo selbst dann nicht auftaucht, als ich eine Viertelstunde auf ihn warte. Als ich endlich oben am Pass ankomme, wartet Korbinian schon. Nach einer weiteren halben Stunde kommt auch Tiejo endlich an und ich gehe ihm ein Stück entgegen. Er redet irgendetwas davon, dass er umdrehen wird, nur dass er uns das noch sagen wollte. „Aber du bist doch schon oben! Da ist doch der Pass!“, motiviere ich ihn. „Wirklich? Ich dachte, es ginge noch viel weiter?!“. Es macht sich deutliche Erleichterung in seinem Gesicht breit und als er dann auch am Passschild steht, strahlt er überglücklich.

Endlich oben!

Als wir dann nach einer kurzen Pause die Abfahrt in Angriff nehmen, stürzen wir nach der nächsten Kurve fast allesamt vor Aufregung vom Rad. Der Blick fällt auf einen traumhaften See. Fünfhundert Meter tiefer gelegen, wird er von schroffen Bergen umrandet, die im Abendlicht lange Schatten werfen. Es folgt eine rasante Abfahrt, bei der wir vor lauter Landschaftsguckerei gut auf die Schlaglöcher Acht geben müssen.

Herrlicher Ausblick

Einige Kilometer weiter stellen wir unser Zelt auf einem kleinen Stück Grasland hinter einigen Bäumen windgeschützt auf. Tiejo und Korbinian wollen noch im See baden, jedoch ist ihnen das Wasser im Endeffekt doch zu kalt und Tiejo frotzelt über eine angebliche gefährliche Echse im See, von der er gehört hätte...

Erst baden im eiskalten Wasser... ...dann lecker essen!