Winterliche Landschaft im Gennargentu
Passo Bucca e Tomanu - Ussassai

Die Nacht im Zelt ist wie erwartet recht kalt und am nächsten Morgen sind Zelt und Rad mit einer dünnen Eisschicht überzogen.

Ich habe mir den Wecker extra zeitig gestellt, da ich den Sonnenaufgang von hier oben sehen will. Nach dem Zeltabbau sitze ich noch eine Weile am Aussichtspunkt und genieße die ersten Sonnenstrahlen des noch jungen Tages. Unter mir zieht sich eine dichte Wolkendecke hin. Ich erlebe zum ersten Mal einen Sonnenaufgang mit Fahrrad über den Wolken. Was für ein herrliches Gefühl!

Die Sonne geht auf... ...die Wolken liegen tief unter mir... ...und ich genieße!

Über die winzige Straße, die gerade einmal eineinhalb Autobreiten breit ist, radele ich durch die karge Landschaft weiter. Es geht lange bergab und vor mir ragen die höchsten Gipfel des Gennargentu auf. An den felsigen Hängen kleben teilweise noch einige Schneefelder.
Achtung: Auch wenn die Straße in der Karte als „schwer befahrbahr“ eingezeichnet ist, diese Information stimmt schon lange nicht mehr.

Unterwegs
In Villanova decke ich mich mit Lebensmitteln ein und die Blicke zahlreicher kleiner Schulkinder haften auf mir. Während ich vor dem Geschäft mein erstes Frühstück einnehme, werde ich von den vielen alten, ganz in schwarz gehüllten Frauen gegrüßt, die ihre Enkel zur Schule bringen. Entlang einer kleinen Straße geht es zum Lago Alto di Flumendosa, wo sich selbige entlang des Seeufers immer auf und abwärts schlängelt.

Da der See auf über 800 Metern Höhe liegt, ist hier oben noch nicht der Frühling angebrochen und die Landschaft sieht noch sehr winterlich und rauh aus.

Die leicht ansteigende Straße ohne erwähnenswerten Verkehr verläuft später entlang eines Gebirgsrückens. Mehrere hundert Meter unter mir hat sich der größte Fluss Sardiniens, der Fiume Flumendosa, seinen Weg durch das Gebirge gegraben. Die Strecke gehört eindeutig zu einer der Schönsten auf Sardinien – so viel ist sicher. Neben mir das tiefe Flusstal, dahinter liegen gleich die teilweise noch mit etwas Schnee bedeckten Gipfel des Gennargentu.

Im Gennargentu Nuraghe

An zahlreichen Kühen und Pferden führt die Straße weiter bis zum Pass Genna e Medau, hinter dem es viel bergab geht und das Flusstal nicht mehr einzusehen ist. An einer Abzweigung fahre ich in Richtung Ussassai, es gibt auch noch eine Straße nach Seui. Auch diese ist noch nicht in meiner Karte eingezeichnet.

Straße im Gennargentu

Meine Straße steigt mit mehr als zehn Prozent an und ich trällere lauthals einige Lieder, die mir gerade einfallen. Irgendwie muss man sich bei dieser Schufterei ja ablenken. Und andere Menschen habe ich schon seit Stunden nicht mehr gesehen „Old McDonald had a farm...”

Nach der 10% Steigung

Anschließend geht es weiter in Richtung Ussassai. Von hier hat man einen wunderbaren Blick über den Landstrich der Ogliastra, der durch viele schroffe und isoliert stehende Felsbrocken gekennzeichnet ist.

In Ussassai kommen mir wieder zahlreiche Schulkinder entgegen. Der Schulbus hat sie gerade abgesetzt. Alle lachen und freuen sie sich. Einige Meter weiter ist eine große Menschenmenge zusammengekommen. Die Straße ist halb blockiert. Kurze Zeit später weiß ich auch warum. Mitten auf der Straße liegt ein kleiner Schuljunge. Bewusstlos. Der Kopf voller Blut. Der Arm nach hinten gedreht. Vor ihm steht ein Auto quer auf der Straße. Am Straßenrand sitzt seine Mutter. Sie weint und schluchzt markerschütternd. Ich sehe zu, dass ich an dem Anblick vorbeikomme. Ein paar Meter muss ich erst einmal anhalten. Verkehrsunfälle sind nie ein schöner Anblick, wenn dabei dann auch noch Kinder zu Schaden kommen ist man doch sehr emotional berührt und denkt unweigerlich einmal wieder darüber nach, wie schnell es einen selbst auch treffen kann.

Nachdem ich meinen Helm enger geschnallt habe, geht es lange und steil bergab. Nur um anschließend in italienischer Manier wieder steil bergauf zu gehen. Dann überholt mich irgendwann der Krankenwagen.

Die Straße steigt noch länger an und als ich oben ankomme habe ich einen wunderschönen Blick auf das vor mir liegende Tal. Tief unten ist der Fluss, mehr als achthundert Meter höher die Gipfel. An der Gebirgswand klebt die Stadt Gairo. Serpentinenreich windet sich die Straße erst ins Tal und anschließend wieder genauso hoch zur Stadt.

In Ulassai nehme ich mir ein Hotel, da es zum Wildcampen keinerlei Möglichkeit gibt. Schließlich fällt die Straße zur Linken steil ab, während sie zur steil Rechten steil ansteigt.

Als es dunkel wird, schlendere ich etwas durch die kleinsten Gassen der Stadt und ein kleiner Junge spricht mich an.

„Du bist kein italiener, oder?“
„Nein. Bin ich nicht. Ich bin Deutscher“
„Was heißt Si auf Deutsch?“
„Si? Das heißt: ‚Ja’.“
"Cooool! Danke!"

Wir reden noch kurz und er möchte mich am liebsten gleich mit zu seiner Clique schleppen, aber ich habe tierischen Hunger und bestelle mir in einer Pizzaria mein Abendessen. Am Nebentisch sitzen zwei Italiener. Der eine trägt einen deutschen Millitäranzug, der andere isst gerade Pizza. Als die beiden mich ansprechen und fragen, wo ich herkomme, stellt sich heraus, dass einer der beiden für vier Jahre in Bielefeld gearbeitet hat. Dementsprechend kann er auch Deutsch sprechen. Nach tiefgründigen Gesprächen wie „In Deutschland gibt es viele hübsche Frauen“ und „In welcher Liga spielt der HSV mittlerweile?“, gibt er mir eine Cola aus.

Solche kleinen Dörfer sind wirklich nett. Da spricht es sich innerhalb kürzester Zeit herum, dass ein Fremder da ist. Schließlich ist das im März ja auch noch recht ungewöhnlich.

Ausgaben:
1,39 € Lebensmittel
1,40 € Lebensmittel
4,50 € Pizza
20,00 € Hotel