Endlose Weiten II
Campotosto – Campo Imperatore

Da im günstigen Übernachtungspreis kein Frühstück enthalten ist, frage ich nach einem Lebensmittelgeschäft, und wir kaufen in dem winzigen, aus Holz zusammengezimmerten Laden unseren Proviant ein. Auf einem Rastplatz, neben stinkenden Müllcontainern, frühstücken wir und setzen anschließend unsere Reise entlang des Ufers fort. Der Himmel ist tiefblau, kaum eine Wolke verdeckt die Bergspitzen und kein Lüftchen regt sich. Das Wasser des Sees ist türkisblau und spiegelglatt; die umliegenden Hügel reflektieren im Wasser und auf einer Landzunge grasen ein paar Schafe.

Morgendämmerung am... ...Lago di Campotosto The Team on Tour

Nachdem wir den See auf der flachen Straße am Westufer halb umrundet haben, folgt auf eine lange Abfahrt plötzlich ein steiler Anstieg, mit dem wir gar nicht gerechnet haben und den wir dementsprechend kaum hoch kommen. Auf dem Weg zum 1300 Meter hohen Pass zähle ich laut die Kilometer an und die Landschaft verändert sich von gerade noch dichter Vegetation im Tal zu kahler, steiniger Hügellandschaft.

Während wir auf der Passhöhe auf die Straße in Richtung Campo Imperatore abbiegen, fällt uns das Schild mit der Aufschrift „Strada chiusa a 15 km“ – Straße in 15 Kilometern geschlossen – ins Auge. Wir hoffen, dass dieses Schild nicht stimmt, da wir sonst zwanzig steile Kilometer zunächst bergab und anschließend zwanzig Kilometer hinauf zu fahren hätten.

Auf dem ersten, sehr steilen Teilstück, welches uns bis auf annährend 1500 Meter bringt, hält uns ein Autofahrer an. Er möchte wissen, wie man zum Lago di Campotosto komme. Da wir heute Morgen dort gestartet sind, kann ich ihm natürlich weiterhelfen. Strahlen und Lachen der Erleichterung auf den Gesichtern der Familie, die keine Karte dabei hat. Der Fahrer klopft mir, sich tausendmal bedankend, auf die Schulter und unsere Wege trennen sich wieder. Am höchsten Punkt angekommen, führt die Straße knappe tausend Meter unter dem Gebirgskamm entlang. Immer leicht bergab geht es durch die kahle Landschaft. Nur ein paar Kühe und Fliegen sind unsere Begleiter. Letztere, welche sich zu einem ganzen Schwarm vermehren, werden bei den Pausen tierisch nervig, da sie in jede Körperöffnung zu kriechen versuchen und es am ganzen Körper kitzelt. Erst bei dreißig Stundenkilometern lassen sich die dämlichen Biester abhängen – allerdings nur bis zur nächsten Pause. Wir sind froh hier oben keine Kuh sein zu müssen.

Bald sehen wir auch, warum die Straße gesperrt ist. Ein Erdrutsch hat die Straße beschädigt. Es ist jedoch nur wenig passiert, da die Stahlnetze die riesigen Gesteinsbrocken glücklicherweise aufgefangen haben. Trotzdem ist die Straße gesperrt. Jedoch haben die Italiener den Betonblock provisorisch zur Seite geschoben, sodass gerade ein Auto (und daher auch ein Rad!) hindurch passt. Italien ist in solchen Angelegenheiten echt praktisch. Passt einem ein Verbot nicht in den Kram, dann umgeht man es einfach, und keiner denkt etwas dabei.

Kahle Mondlandschaft... ...entlang des Gebirgsrückens Schlange

Gegen Mittag kommen wir in die letzte kleine Siedlung für die nächsten Tage. Name: Fonte Cerreto. Während unserer Siesta fahren zwei Reiseradler mit etwas provisorischem, aber durchaus solidem Equipment vorbei und ich spreche das Ehepaar zunächst auf Englisch an, stelle dann aber fest, dass sie nur Deutsch können. Die beiden kommen schon aus Polen, aus der Nähe von Krakau geradelt. Lange unterhalten wir uns über unsere Routen, Ziele und die Ausrüstung. Zehn Euro verbrauchen die beiden pro Tag und Person insgesamt. Das Wasser holen sie sich aus der Leitung, die Übernachtung tätigen sie wild. Das einzige, was sie brauchen, ist etwas zu essen. Wir sind von dieser Bescheidenheit beeindruckt. Ihr Tagesziel liegt heute auch auf der Hochebene, und da das Paar erst einmal Mittag essen möchte, verabschieden wir uns in der Hoffnung sich oben noch einmal wiederzutreffen.

Während es sich stärker zuzieht, glücklicherweise aber nicht regnet, schrauben wir uns die Straße hinauf. Von 900 Metern Höhe zieht sich die Straße über achtzehn Kilometer lang bis auf 1700 Meter Höhe hinauf.

Wir kommen gut voran, was nicht zuletzt daran liegt, dass wir uns gegenseitig mit Witzen von der Schufterei ablenken. Auch die grandiose Landschaft tut ihr übriges um uns gar nicht erst an die Anstrengung denken zu lassen.

Jürgen und Babara aus Polen Es geht bergauf Geschwungene Landschaft

Über die kurvige, aber dennoch leicht zu fahrende Straße fahren wir dem Himmel entgegen und erfreuen uns an der hügeligen und wieder einmal kahlen Landschaft, bis wir auf siebzehnhundert Metern angelangt sind und Christian seine höchste Erhebung mit einem Luftsprung feiert. Nach einer kurzen Abfahrt geht es mit viel Rückenwind entlang der rauen Straße und ich donnere in ein Schlagloch. Da wir auf der baumlosen Ebene keinerlei Möglichkeit sehen unser Zelt aufzubauen, fahren wir mit Rückenwind weiter und lassen die endlose Weite auf uns wirken. Nur ein paar Rinderherden ziehen einsam an uns und den hohen Bergen am Rand vorbei.

Die letzten Meter ohne Vegetation Juhu! Endlich oben! Wie aus einer anderen Welt

Nach einigen Kilometern finden wir eine Hütte, an der zwei Wohnwagen stehen. In dieser, welche sich als kleiner Kiosk entpuppt, frage ich, ob man hier auch über Nacht campieren darf. Das wird natürlich genehmigt und so bauen wir unser Zelt auf. Den wahren Luxus dieses Platzes erfahren wir erst später: Im Kiosk gibt es Wurst, Fleischspieße sowie Brot, Käse und Getränke zu kaufen. Die angeschlossene Grillanlage wird von den Besitzern kostenlos mit Kohle und Anzündern versorgt. So haben wir seit Beginn dieser Reise endlich wieder richtiges Fleisch zu essen. Der etwas kräftige Beigeschmack fällt uns vor Hunger gar nicht auf. Erst am nächsten Tag kommen wir darauf, dass es Schafsfleisch war.

Endlose Weite mit dem Corno Grande In den Anden? Oder Island?

Am Abend beschließen wir den morgigen Tag noch hier auf der Hochebene zu verbringen, da wir nicht davon ausgehen, noch einen schöneren Platz als diesen zu finden.

Während einige Männer aus dem Tal hier feiern und Saufspiele veranstalten, die anscheinend nur aus sinnlosem Hochzählen von Zahlen bestehen, legen wir uns im Schlafsack neben das Zelt und schauen in die Sterne.

Der Nachthimmel ist auf dieser Höhe viel klarer, als man ihn kennt, und kein Licht künstlicher Lichtquellen stört den Blick ins Firmament, welches voller Sterne ist. Dabei sehen wir sogar zum ersten Mal in unserem Leben die Milchstraße als schleieriges Band am Himmel stehen. Und bei den vielen Sternschnuppen gehen jede Menge Wünsche in Erfüllung...

Landschaft im Licht,... ...Sonnenuntergang... ...auf dem Campo Imperatore