Da der Zug in München Hauptbahnhof nur kurz zwischenhält, begebe ich mich bereits zeitig mit meinem Gepäck zu den Türen. Leider ist die Tür im Zug für die linke Seite am Anfang des Wagens, die Tür für die rechte Seite am Ende. Da ich nicht weiß auf welcher Seite der Bahnsteig kommen wird und mir auch ein älteres Ehepaar nicht weiterhelfen kann, hoffe ich auf mein Glück; ich muss mich jedoch kurz vor der Ankunft an ein paar wartenden Menschen und deren Gepäck in der Eile vorbeischieben, bevor ich mein Rad aus dem dafür vorgesehenen Abteil entladen kann und mich zum Bahnsteig des Regionalzugs begebe, welcher mich bis nach Garmisch-Partenkirchen bringen wird.
Der Zug ist zu dieser frühen Stunde bereits gerammelt voll mit Rädern, und so komme ich nach dem Frühstück, kurz vor dem Aussteigen, mit einer Gruppe von Mountainbikern ins Gespräch, die allesamt beeindruckt von meinem Tourplan sind. Bis nach Rom. Das muss man sich überhaupt einmal auf der Zunge zergehen lassen. Eigentlich geht es ja noch einmal quer über den Apennin, nach Pescara. Da ich aber nicht davon ausgehe, dass Pescara solchermaßen bekannt ist, sage ich lieber Rom. Den meisten angetroffenen Menschen auf dieser Reise reicht dieser Gedanke auch schon um noch einmal ungläubig das gesamte Gepäck zu beäugen und anschließend eine gute Reise zu wünschen.
Nachdem die Gruppe von Radfahrern mir beim Ausladen der Gepäckstücke geholfen hat, verstaue ich alles wieder auf dem Rad und versuche mich mit dem Rad an der Treppe des leider wenig rollstuhl- und radfahrerfreundlichen Bahnhofs.
Ankunft in Garmisch |
Auf der stark befahrenen Bundesstraße 23, kurze Zeit später auf dem Radweg entlag der Loisach, rolle ich gemächlich und immer leicht bergauf auf die österreichische Grenze zu. Viele Radler sind an diesem sonnigen Wochenende unterwegs und man grüßt sich unterwegs. Anstatt auf der Bundesstraße zu bleiben, folge ich dem in den Wald abbiegenden Radweg in Richtung Ehrwald, der sich einige Meter weiter leider in eine Mountainbikepiste mit großen Steinbrocken verwandelt. Ich schwöre mir in Zukunft nie wieder auf ausgeschilderte Radwege auszuweichen, sondern auf den Straßen zu bleiben. Dass ich das Versprechen auf dieser Reise nicht halten werde, ahne ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Auf dem Weg nach Österreich |
Nach einigem Geholper passiere ich die verfallene Grenzstation zu Österreich und später Ehrwald, wo ich mir zunächst einen Landesaufkleber für die Radtaschen hole. Während der Pause gleitet der Blick auf das weite Tal und das in der Sonne leuchtende Wettersteingebirge mit der Zugspitze, welches ich jetzt einmal von der anderen Seite als letztes Jahr (Deutschlandtour) sehen kann. Die Auffahrt zum nun folgenden Fernpass führt über eine Straße mit 8% Steigung, die aber schnell überwunden ist, da ich mich einer kleinen Radlergruppe für kurze Zeit angeschlossen habe. Während einer Pause von der breiten Straße, die höchstwahrscheinlich an Werktagen mit Hunderten von Lastern kein Spaß ist, verliere ich die Gruppe. Im Biergarten kurz vor dem Pass trifft man sich jedoch wieder und genießt die Aussicht auf das nun leider in Wolken liegende Wettersteingebirge und die Gebirgsseen. Nach dem wunderschönen Blick lässt es sich auch leicht verschmerzen, dass die höchste Stelle in keiner Weise spektakulär erscheint. Nur die neun Kilometer bergab ins dort liegende Nassereith haben es wieder in sich und halten jede Menge Spaß bereit.
Blick vom Fernpass |
Bei einer Pause an einem Heustadel schweift der Blick über die Wiesen, die vielen kleinen Hütten und bleibt letztendlich bei den zweieinhalbtausend Meter hohen Bergen hängen, die das Tal einsäumen. Dann erreiche ich endlich das Inntal und die Berge von eben werden durch die weit über dreitausend Meter hohen Gipfel um das Ötztal herum überragt. Leider beginnt es sich langsam zuzuziehen und die Luft wird unangenehm, richtig schwül. Pünktlich mit dem Einbiegen ins Ötztal spürt man auf den Armen die ersten vereinzelten Tröpfchen, hört das entfernte Grollen und erblickt die im Tal festhängenden Gewitterwolken. Vorsichtshalber stelle ich mich an einem Bushaltestellenhäuschen unter und entgehe so dem nur wenige Sekunden später herunterbrechenden Regen.
Pause am Heustadl | Regen im Ötztal :( |
Eine Dreiviertelstunde dauert das Gewitter. Immer wieder kann man beobachten, wie in die umliegenden Berge die Blitze einschlagen. Um mir die Zeit zu vertreiben und um herauszufinden wie schnell sich das Gewitter bewegt zähle ich die Sekunden zwischen Blitz und Donner. Zwölf Kilometer, sechs Kilometer, acht Kilometer. Die Zeit vergeht einfach nicht. Unwillkürlich muss ich an Ötzi denken, wie er vor vielen Tausend Jahren hier in den Bergen umhergezogen sein muss und vielleicht in ein solches Unwetter geriet, welches ihm den Tod bescherte.
Als der Regen weniger wird, fahre ich in glücklicherweise doch noch eingepackter Regenkleidung weiter. Die Straße führt kontinuierlich bergauf. Um mich herum donnert es immer noch vereinzelt. Ich muss an einen kurz vor der Tour gelesenen Artikel über zwei Bergsteiger denken, die in einem Gewitter in den Bergen vom Blitz erschlagen wurden. Eigentlich bin ich auch verrückt bei diesem Wetter mit dem Rad hier zu fahren. Und das, wo man mir jahrelang eingebläut hat, dass man bei Gewitter nicht Rad fahren soll...
Die Motivation und Kraft lassen wie der Regen langsam, aber sicher nach. Nach einigen Kilometern steil bergauf stehe ich in einer Wolke, die leider wieder Regen mitbringt. Die Motivation kommt aber nicht zurück. Stattdessen ist sie auf dem Nullpunkt angelangt, als im strömenden Regen ein Auto mit Jugendlichen an mir vorbeifährt, eine große Pfütze direkt neben dem Rad mitnimmt, ich eine gehörige Dusche abbekomme und hämisches Gelächter aus dem offenen Fenster dringt.
Die Zeit kommt mir ewig vor und nach dem Gefühl mehrere Stunden gefahren zu sein komme ich auf 1179 Metern in Längenfeld an. Da der Ort nur wenige Kilometer vom eigentlichen Tagesziel entfernt liegt, beschließe ich hier in eine Pension zu gehen. Bei diesem Wetter zu zelten wäre jetzt sowieso das Letzte, was ich gerne machen möchte. Mit den Worten „Haben sie Platz für einen nassen Radfahrer?“ finde ich eine Bleibe und gehe anschließend ein Schnitzel essen um dann ins Bett zu fallen und Energie für die morgige Passüberquerung zu sammeln.