Bei blauem Himmel stehe ich um acht Uhr auf um mit meinem Rad die Ebene zu erkunden. Christian dreht sich noch einmal gemütlich um und wir verabreden uns für den Mittag an einer Straßenkreuzung. Mit einer Flasche Wasser und dem Fotoapparat verlasse ich die Straße und fahre einen unbefestigten Weg mitten durch die Natur. Die gute Befahrbarkeit lässt leider bald nach und ich muss mein Rad im losen Sand schieben. Hinter mir liegt unser Übernachtungsplatz und das Zelt ist nur noch ein kleiner Punkt.
Irgendwann biegt der Weg in Richtung Osten ab und ich verlasse diesen um quer über die Wiesen zu fahren. Der Untergrund ist jedoch stark steinig und zerklüftet, sodass das Fahren größtenteils nicht möglich ist. Ich mache Pause und setze mich auf den Rasen. Neben mir der gewaltige Monte Camícia und die Straße, auf der ich mich eben noch befand, führt bis zu einem verfallenen Gebäude hinauf.
Abgeschiedener Weg | Dimensionen... | Einsame Blume im Geröllfeld |
Über winzige Trampelpfade von Viehherden geht es weiter und ich lande an einem Schmelzwasserabfluss, voll mit staubigem Geröll. Nur eine einzige blühende Blume setzt hier einen Akzent vor den hohen Bergen. Als ich nach Stunden des Unterwegsseins auf einer Hügelkuppe ankomme und die Straße weit weg schon erahnen kann, setze ich mich und genieße für zwei Stunden die Ruhe und Abgeschiedenheit. Auf der rechten Seite blicke ich zu den schroffen Bergspitzen hinauf, der Blick gleitet von den langsam ausklingenden schroffen Bergen über die geringfügig gewellte und schier unendliche Ebene bis zu den sanften Hügeln auf der linken Seite. Überragt wird das Plateau durch die mit 2 912 Metern höchste Erhebung des Corno Grande. Schroff und steil liegt er am Ende der Ebene. Niemand hätte ihm einen treffenderen Namen als „Großer Stein“ geben können. Ich schaue mich um und erblicke keinen Menschen. Und das, obwohl ich bereits seit Stunden unterwegs bin. Vereinzelt, alle paar Kilometer, nimmt man eine verlassene Schäferhütte wahr. Auch dringt Hundegebell aus weiter Ferne zu mir und ich entdecke eine Schafherde, die sich weit entfernt fast unmerklich fortbewegt; zusammengehalten durch die Hütehunde und ihren Schäfer.
Viehtränke ohne Vieh | Endlose Weite |
Um mich herum pustet der Wind. Die Haare wehen im lauen Lüftchen und es riecht nach Natur. Insekten summen um mich herum, Heuschrecken hüpfen durchs kurze Gras. Weder Bäume noch Büsche gibt es hier, sodass der Blick frei über die Landschaft schweift.
Da sich die Uhrzeit dem Mittag entgegenneigt, rolle ich über die Wiesen bergab auf die Straße mit dem Treffpunkt zu. An einer unbeaufsichtigten Rinderherde geht es durch die holprige Landschaft. Plötzlich erkenne ich die Silhouette zweier Radfahrer weit weg vor mir auf der Straße stehend. Ich vermute, dass es die beiden Polen vom Vortag sind. Ich fahre mit meinem Rad schneller querfeldein. Welch ein Glück, dass ich ohne Gepäck an diesem Tag unterwegs bin. Dann fahren die beiden weiter. Sie scheinen auf der Straße zügig voranzukommen. Ich halte an und winke mit beiden Armen. Sie sehen mich leider nicht. Ich gebe Gas und in weiter Ferne fahren die beiden an mir vorbei. Verdammt! „Du musst das schaffen“, sage ich mir. Ich will die beiden unbedingt noch einmal wiedertreffen. Ich holpere über den extrem zerklüfteten Untergrund. Durch die vielen und harten Stöße schmerzt mein Rücken. Aber ich gebe nicht auf. Endlich erreiche ich die Straße und jage mit Rückenwind und fünfzig Stundenkilometern hinter den beiden her.
„Hallo!!“, keuche ich. Die beiden erkennen mich erst gar nicht, doch dann ist die Freude groß. Ich erzähle, dass ich gewunken habe und frage ob sie mich nicht gesehen hätten.
„Doch klar! Wir haben da jemanden gesehen und uns noch gefragt warum der so bescheuert ist, mitten über die Wiese zu fahren, wo es doch Straßen gibt.“ Wir lachen alle drei. Aus der Entfernung hatten die beiden mich nicht erkannt. Wir plaudern noch eine Weile und stellen uns auch endlich mit dem Namen vor. Jürgen und Barbara heißen die beiden Weltenbummler. Die selbstverständlichsten Sachen vergesse ich seltsamerweise immer, wenn ich mich mit anderen Radlern unterhalte.
Zur Verabschiedung geben wir uns die Hand und wünschen uns das Beste. Anschließend radle ich zufrieden zum Treffpunkt zurück.
Corno Grande | Blick vom Observatorium auf 2100 Meter |
Mit Blick über die gesamte Hochebene trinke ich Cola und schreibe auf einer Wiese im Sonnenschein mein Tagebuch weiter. Leider ist das Wetter heute etwas diesig.
Am Abend lernen wir ein jüngeres Wandererpaar aus der Nähe von Berlin kennen. Mit schwerem Rucksack und Zelt sind sie unterwegs. Auch sie sind grenzenlos von den von der Zivilisation abgeschiedenen Bergen fasziniert. Wir unterhalten uns mit Ulli über den Nationalpark und unsere Reiserouten. Den Namen seiner Begleiterin haben wir leider nicht in Erfahrung gebracht. Da es bereits dämmert, beschließen die beiden ihre Wanderung bis zur zwei Kilometer entfernten Schutzhütte heute nicht mehr zu vollenden und bleiben auf unsere Empfehlung hin bei uns. Nach dem Abendessen, welches heute ein richtiges Festmahl ist und aus Nudeln mit Tomatensoße, gegrillten Fleischspießen und Wurst, sowie Brot und Cola besteht, unterhalten wir uns den ganzen Abend mit den uns sympathischen Abenteurern. Mit Ryanair sind sie nach Pescara gekommen und wandern durch diesen Gebirgszug. Sogar Bärenspuren haben die beiden gesehen. Auch die Ausrüstung, insbesondere das Zelt, wird durchdiskutiert und wir begutachten gegenseitig unsere Zelte verbunden mit Geschichten über abenteuerliche Wildzeltaktionen der beiden.
Grillen am Abend |
Als es dunkel und bald beachtlich kalt auf der Ebene unter dem klaren Sternenhimmel wird, verziehen wir uns nach der Verabschiedung in unsere Zelte und schlafen ein.