Von Zweitausend auf Null, das Ziel ist erreicht.
Campo Imperatore - Pescara

Schweren Herzens bauen wir an unserem letzten Tag auf der Hochebene und der letzten Etappe das Zelt ab und verstauen ein letztes Mal alles auf den Rädern. Unsere Berliner schlummern um sieben Uhr morgens noch in ihrem Zelt.

Wie schon in den letzten Tagen pustet ein kräftiger Westwind über die Ebene und wir haben Rückenwind. Kurz nach dem Start verklemmt sich meine Kette in der Kassette am Hinterrad, wie schon in den letzten beiden Tagen. Der Grund ist, dass die Zahnräder sich unbemerkt gelöst haben und nur noch lose auf dem Freilauf liegen. Da ich entsprechendes Werkzeug dabeihabe, demontieren wir das Hinterrad und ziehen die Zahnräder wieder fest. Leider fehlt der passende Schraubenschlüssel, sodass ich die Ritzel nur handfest anziehen kann. Ich hoffe, dass das ganze irgendwie halten wird, bis wir heute Abend in Pescara sind.

Die Sonne geht auf Auffahrt zum Pass

Aus der Ebene hinaus führt uns die kurvenreiche Straße auf den 1600 Meter hohen Pass „Valico di Capo la Serra“, von dem man noch einen letzten Blick auf die Hochebene und den Corno grande hat, bevor es bergab geht. Doch kaum haben wir unseren Blick vom Campo Imperatore abgewendet und schauen wieder nach vorne, da haben wir das schönste Panorama der Tour vor uns liegen. Direkt neben der Straße fällt das Gelände um fast tausend Meter ab und zieht sich leicht geschwungen fast bis zum Horizont. Kurz vor diesem ragt jedoch eine nahezu zweitausend Meter hohe Felswand schroff in den Himmel hinauf. Einen schöneren Blick kann man zum Abschluss gar nicht haben.

Bergab geht es nach Castel del Monte, einem kleinen verschlafenen Ort hoch in den Bergen. Dort kaufen wir in einem Lebensmittelladen unser Frühstück und während Christian mit seinen Eltern telefoniert, komme ich mit einigen älteren italienischen Frauen ins Gespräch. Die eine hat sogar einmal für sieben Jahre in der Schweiz gelebt. Sie erzählen davon, dass es in Pescara seit Tagen sehr heiß sei und fragen mich, wie es mir in Italien gefalle.

Valico Capo la Serra, 1600m Gigantisch! Castel del Monte

Als wir dann wieder aufbrechen, geht es immer noch lange bergab und an einer kleinen Ebene entlang, die sich tief unter uns ausbreitet. Die “Forca delle Penne“ beschert uns als letzter Pass noch einmal über mehrere Kilometer eine anstrengende Auffahrt. Ganz im Gegensatz zum kühlen Gebirgsklima ist die Luft mittlerweile unerträglich heiß und unangenehm schwül. Auch die Landschaft musste der Sonne ihren Tribut zahlen und ist braun verbrannt.

Nach dem Pass geht es endlich bergab, unterbrochen von einigen kürzeren Steigungen. Trotzdem sind wir schlapp durch die ekelhafte Luft. An einer Tankstelle machen wir Siesta und die Besitzern lässt uns gnädigerweise gerade noch vor der Siesta in den Laden um ein Eis zu kaufen. Während wir so dasitzen, schnacken wir mit einem Angestellten der Tankstelle, der einmal in Bayern war, und machen einem Autofahrer einen großen Geldschein klein. Während Christian im Sitzen eingeschlafen ist, fallen auch mir die Augen irgendwann zu und ich lege meinen Kopf, auf die Arme gestützt, auf den Tisch einer kleinen Sitzgruppe. Eine Stunde lang haben wir fest geschlafen und sind dann wieder aufgewacht. Lachend darüber, dass wir einfach so – ohne ein Wort zu sagen – eingeschlafen sind, fragen wir uns, was wohl die vorbeifahrenden Leute gedacht haben.

Nachdem wir uns wieder aufs Rad gequält haben, zwingen wir uns weiter zu fahren. Die Landschaft ist mittlerweile wieder flacher geworden, das Meer können wir aber trotzdem nicht sehen. Über eine Straße, umgeben von einer Schatten spendenden Pinienallee, geht es in die zivilisierte Welt zurück. Über das Reise- und Fernradlerforum (www.bikefreaks.de) hatte ich von zu Hause noch erfahren, dass es genau gegenüber vom Flughafen einen Obi-Baumarkt gibt. Glücklicherweise existiert dieser tatsächlich und wir decken uns mit 10 m2 Luftkammerfolie, Rohrisoliermaterial, Klebeband und einem Messer ein.

Dann geht es immer geradeaus, bis wir mitten in Pescara sind und entlang der Uferpromenade wieder aus der Stadt herausfahren. Neben uns ist endlich die Adria zu sehen! Nur 40 Kilometer Luftlinie sind es von den höchsten Bergspitzen Italiens, mit fast dreitausend Metern, bis hier. An uns ziehen die vielen Schirme und Touristen vorbei. Leider auch viele Autos. Die Konzentration ist enorm hoch – das Fahren ist anstrengend, da man im italienischen Verkehr ständig alles im Blick haben muss. Nur eine Sekunde Unaufmerksamkeit – schon passiert es. Keine zehn Meter vor mir öffnet ein bescheuerter Autofahrer seine Tür, ohne vorher in den Rückspiegel zu sehen! Christian brüllt von hinten. Ich schaue wieder nach vorne und sehe die Misere schon. Glücklicherweise kann ich der Tür noch fluchend ausweichen.

Sechs Kilometer weiter sind wir in Francavilla al Mare und müssen uns bis zum Campingplatz durchfragen. Unseren Platz erhalten wir direkt an einer stark befahrenen Straße. Aber was soll’s. Wir sind froh endlich da zu sein. Immerhin liegt der Campingplatz direkt am Strand, nur wenige Schritte sind es vom Zelt bis ins Wasser.

Abwärts mit geilem Blick Riesige Gottesanbeterin Endlich am Meer

Am Abend irren wir durch den Ort und finden nach fast einer Stunde Fußmarsch endlich ein Restaurant, in dem wir wieder gute Pizza essen. Anschließend gehen wir ein Eis essen und setzen uns an den Strand beim Campingplatz. Vor dem Essengehen hat Christian noch eine Flasche Wein gekauft, die jedoch dem (günstigen) Preis entsprechend schmeckt. Wein trinkend und noch einmal die Ereignisse des Urlaubs reflektierend liegen wir im Sand und schauen in den Sternenhimmel.

Während wir die Sterne zählen, bittet eine von drei jungen Mädchen aus Freiburg Christian um Feuer und wir kommen kurz ins Gespräch. Mit Interrail und Zelt sind sie unterwegs und wollen morgen weiter nach Sizilien.

Nach einer Cola in der Bar des Campingplatzes und einem grandiosen Gewinn über Christian im Tischfussball, legen wir uns im aufgebauten Innenzelt schlafen. Bis wir aber tatsächlich einschlafen können, vergeht noch eine Weile, da es im Zelt heiß ist und der laute Verkehr der Straße uns enorm stört. Jetzt wissen wir, dass wir es auch aushalten würden auf dem begrünten Mittelstreifen einer Autobahn zu campieren. Irgendwann fallen uns dann endlich die Augen zu.