Nach dem Aufstehen brauche ich noch zwei Stunden um das Zelt abzubauen, mich zu waschen und die restlichen Ausrüstungsgegenstände wieder in den Taschen zu verstauen. Gegen sieben Uhr rolle ich durch das noch im Morgendunst liegende Südtirol mit dem Etschtal. Auch die Sonne hat schon ihren Weg über die Bergspitzen gefunden und brennt bereits jetzt, wenn ich stehen bleibe, auf der Haut. Ich bin froh so früh losgekommen zu sein und kaufe noch schnell beim Supermarkt ein paar Brötchen sowie Wasser ein.
Obwohl der Etschtalradweg vor Bozen nicht ausgeschildert ist und ich nur mit der Karte des Begleitbuchs unterwegs bin, finde ich den Weg bis auf eine Ausnahme ohne Probleme. Die Straße führt überwiegend durch die vielen Obstgärten, an endlosen Apfelbaumreihen vorbei. Leider sind die Äpfel noch grün und schmecken etwas sauer. Kurz vor Bozen stimmt meine Karte überhaupt nicht mehr und ich irre mindestens eine Stunde umher. Nur um herauszufinden, dass ich in den Plantagen eine Straße zu früh abgebogen war.
Zwischen Etsch und Obstbäumen | Noch in Südtirol |
Auf dem Deich entlang führt der nun ausgeschilderte Radweg zum Schloss Sigmundskron und anschließend immer direkt am Wasser entlang. Mit leichtem Gefälle und Rückenwind fliegt die Landschaft an mir vorbei und das Radfahren ist das reinste Vergnügen.
In Südtirol wird normalerweise noch bevorzugt deutsch gesprochen. Doch der italienische Singsang wird mittlerweile immer häufiger und ich beschließe nach gestriger Unsicherheit, ob ich nun italienisch oder deutsch sprechen soll, die anderen Radfahrer ab sofort mit „Ciao“ zu grüßen.
Ab Ora verwandelt sich der Rückenwind leider in einen sehr starken Gegenwind, der mir das Vorwärtskommen zusammen mit einem fast platten Reifen erschwert. Doch beim Demontieren des Rades ist kein Loch zu finden und so baue ich den Schlauch wieder ein. Wenige Kilometer später ist jedoch wieder ein Großteil der Luft aus dem Reifen entwichen und ich pumpe alle paar Kilometer immer wieder nach. Nachdem ich in Salorno die sprachliche Grenze sowie die zwischen Südtirol und dem Trentino überquere, verschwinden schlagartig die zweisprachigen Straßenschilder und ich nehme mein Hinterrad ein zweites Mal auseinander. Nun werde ich auch fündig. Da das winzige Loch direkt am Ventil weder zu sehen noch zu flicken ist, tausche ich den Schlauch aus und habe das erste Problem gelöst. Dafür hat der Wind mittlerweile Orkanstärke angenommen und mein Rad wird mir beinahe in die Etsch geweht.
Etschtal im Trento | Blaue Stunde am Gardasee |
Während ich Kilometer später an Trento vorbeiziehe, beginnt die Sonne langsam hinter den Bergkuppen zu verschwinden. Immer niedriger werden die Berge und immer enger das Tal. Weit über mir liegt das Castel Beseno, eine der größten Burgen hier. Früher verteidigte und bewachte sie den schmalen Weg durch das Tal des zweitlängsten Flusses Italiens.
Der viele Wind, welcher jetzt zum Glück nachlässt, hat mich heute sehr viel Zeit und Energie gekostet. Aus diesem Grunde wird mein Campingplatz in über 1000 Meter Höhe, direkt auf dem Gebirgszug am Gardasee, heute nicht mehr zu erreichen sein. Stattdessen fahre ich über den Passo San Giovanni, der mit seinen 287 Metern gar nicht erwähnenswert scheint. Wäre da nicht der ausgeschilderte Radweg, den ich anstatt der Nationalstraße natürlich gerne nehme. Zunächst noch direkt an der Straße verlaufend, führt er mich anschließend weit von dieser weg und ich darf noch ein paar Extrasteigungen mitnehmen. Mein Versprechen vom ersten Tag fällt mir erst wieder ein, als es zu spät ist. Ohne Licht komme ich mit den allerletzten Sonnenstrahlen zur blauen Stunde in Tórbole, direkt am Gardasee gelegen, an und suche mir eine Pension in dem Touristenort. Endlich komme ich auch dazu meine mir selbst beigebrachten Italienischkenntnisse anzuwenden.