Am nächsten Morgen haben sich alle Wolken vom Vortag verzogen, und als ich am campingplatzeigenen Kiosk Brötchen kaufe, sehe ich bereits ein paar Bergspitzen ganz klar vor dem blauen Himmel. Ich ahne schon „Schlimmes“, und als ich mich nach dem Bezahlen wieder auf den Weg mache, ragen die umliegenden Berge des Gardasees ganz klar und deutlich in die Höhe. Es ist ein Wetter, bei dem Postkarten gemacht werden. Keine Wolke am Himmel, keinerlei Dunstschleier; man kann sogar bis zu einem vergletscherten Teil der Alpen schauen. Von solchen Tagen gibt es nur ein paar im ganzen Jahr.
Bei diesem Wetter fällt die Entscheidung nicht schwer auf die für heute angesetzte Zugfahrt zur Schonung meiner Knie zu verzichten und weiterzufahren. Eine Entscheidung, die später noch bitter bestraft werden wird.
Boah! Was für ein Wetter!! |
Die Landschaft südlich des Gardasees besticht durch eine leicht geschwungene Weite, kleine Dörfer und imposante Kirchen, z.B. in Pozzolengo mit aufwendig gestalteten Friedhöfen. Dummerweise stelle ich fest, dass mir für das nächste Stück über 20 Kilometer die Karte fehlt. Als ich sie vor dem Urlaub meinen Eltern als Übersicht gab, vergaß ich ganz, dass ich sie selbst auch brauchen würde. Durch das Durchfragen bei den Einheimischen und Telefonaten mit meinen Eltern war es dann wieder möglich auf die geplante Route zu gelangen, die mich von der geschwungen Landschaft hinab in die Poebene führt. Während einer langen leichten Abfahrt mit Rückenwind ist ganz am Horizont ist schemenhaft der Apennin zu erkennen. So kann die Poebene richtig Spaß bringen.
Blick zurück zum Gardasee | Friedhof |
Doch der Spaß hält nicht lange an und über Mittag macht sich bei mir in der drückenden Luft die Erschöpfung breit. Auch landschaftlich gibt es nichts außer Heuballen, Feldern und Bäumen zu sehen. Sogar die Dörfer sind wenig reizvoll. Größtenteils gänzlich verfallene und verkommene Häuser säumen die Straßen und bieten keinerlei Abwechslung. Ich bin am Ende aber noch lange nicht am Ziel. Auch die Knie schmerzen wieder, die Kniekehlen sind durch die kneifenden Bandagen in blutige und schmerzende Stellen verwandelt worden. Gerade gestern hatte sich Schorf gebildet, der nun wieder bis aufs Fleisch durchgescheuert wird. Ich quäle mich auf der Nationalstraße in Richtung Parma vorwärts und überquere endlich den Po, um anschließend auf der stark befahrenen Straße zu bleiben, da sie die kürzeste Verbindung nach Parma darstellt. Auf alles andere habe ich absolut keine Lust mehr. Es soll nur möglichst schnell gehen. Auch die Sonne ist mittlerweile weg und auf der zweispurigen Straße tobt der Verkehr. Unter anderem auch Tausende von Lastern. Ich fahre direkt am Rand der Straße auf der weißen Linie. Die Laster überholen, ob Platz ist oder nicht. Ich fahre weiter zur Straßenmitte hin in der Hoffnung, die Laster würden nur überholen, wenn der Gegenverkehr das zuließe. Fehlanzeige! Das Resultat ist ein verfrühtes Einscheren. Wäre ich nicht mehrmals bis in den Straßengraben ausgewichen, dann würde der Bericht hier wohl enden. Mit gehörig Adrenalin im Blut und dem blanken Horror ins Gesicht geschrieben will ich nur noch von der Straße weg. Auf der Autobahn, mitten auf den Spuren, hätte es kaum schlimmer sein können.
Flache Poebene |
Endlich kann ich die Straße verlassen und fahre auf die Nebenstraße, die mitten ins Zentrum führen wird. Denke ich. Stattdessen gelange ich auf eine andere vielbefahrene Straße. Auf meiner Karte stimmt gar nichts mehr und ich fahre auf blauen Dunst weiter. Schließlich lande ich auf der Nordtangente der Stadt. Sechs Spuren. Leitplanken. Seitenstreifen. Letzterer wird meine Rettung als ein Laster beim Auffahren auf die Straße mich beinahe zermalmt. Ich wünsche mich ganz weit weg. Ohne Rad. Nach Hause! Was für eine dämliche Reise.
Nirgends ein Verbotsschild. Solch eine Straße kann doch gar nicht für Radler zugelassen sein! Ich trete erschöpft in die Pedale um endlich die Straße verlassen zu können, bevor mich die Polizei oder ein Laster erwischen würde.
Ohne Stadtplan und nur mit der Information, dass der Campingplatz „am südlichen Stadtrand“ gelegen sei, mache ich mich entnervt auf die Suche, finde ihn aber durch einen glücklichen Zufall. Ich stelle mein Zelt auf und beschließe morgen einen Ruhetag zu machen. Dann wird auch die Motivation wiederkehren. Hätte ich heute bloß den Zug genommen! Jetzt erst mal was essen gehen. Dann geht’s dir schon wieder besser...
Die Pizza, die ich bekomme, ist dann auch nur halb so groß wie die von den Gästen im Nachbarrestaurant. Heute ist aber auch nichts, wie es sein sollte. Na ja, morgen ist Ruhetag jetzt erst einmal schlafen. Alles wird gut.
Parma | hier tobt zu später Stunde noch das Leben |