In der Nacht bin ich immer wieder fröstelnd aufgewacht. Im Zelt und leider auch im Schlafsack ist es eiskalt. Zusammengekauert, die Knie bis ans Kinn gezogen, lässt es sich bis zum Morgen aushalten. Dass es in Italien auf 1000 Meter Höhe im Sommer so kalt werden kann, das hätte ich nun nicht erwartet – sonst hätte ich sicherlich auch nicht nur den leichten Sommerschlafsack mitgenommen.
Sonnenaufgang auf 1000m Höhe |
Nach einem wunderschönen Sonnenaufgang in der beeindruckenden Landschaft rolle ich in Richtung Pass. Leider geht es über zwölf Kilometer erst einmal fast 400 Höhenmeter bergab, was ich später alles wieder reinholen muss, als es mit 10% stark bergauf geht. Das Wetter lässt am heutigen Tag leider zu wünschen übrig, da fast der gesamte Himmel durch Wolken verdeckt ist und die Temperaturen sich damit auch im unteren Bereich halten. Auf meiner Karte sieht die Strecke bis zur Passhöhe relativ einfach und nur leicht kurvig aus. In Wirklichkeit zieht diese sich mit einigen Kehren endlos hin.
Bis der Wald aufhört und der Blick auf die umliegenden kahlen Berge geöffnet wird. Dann sind es auch nur noch wenige Kilometer und der „Passo del Cerreto“ mit 1261 Metern ist erreicht. Oben kein Schild, dass man den Pass mit seiner Höhe gemeistert hat, nur ein paar Restaurants und Hotels mit dem Passnamen zeugen von dessen Existenz. Noch nicht mal die nun beginnende Toskana wird eines Schildes gewürdigt.
Schroffe Südseite des Apennin | Mittelalterliche Stadt |
Als ich am Ende der langen Abfahrt in Fivizzano an der roten Ampel stehe, kommt mir ein anderer Reiseradler entgegen. An seiner Flagge auf der Lenkertasche erkenne ich gleich, dass er Engländer ist und wir kommen ins Gespräch. Ich kann kaum glauben, dass er schon ganz aus Liverpool gekommen ist. Über Frankreich und Genua gefahren ist sein Ziel nun Berlin. Als mein Blick auf sein Gepäck fällt, welches nur aus zwei kleinen Taschen besteht, frage ich ihn lachend, wie es möglich sei mit so wenig Gepäck so lange unterwegs zu sein; er solle sich schließlich mal mein Sechs-Taschen-Gepäck für drei Wochen anschauen.
„Well, I do such journeys every year and so I know what I need and what not”, antwortet er trocken und schmunzelnd. Mit den besten Wünschen verabschieden wir uns und ich mache mich daran die Alpi Apuane, „die kleinen Alpen“ Italiens, zu überqueren. Diese stellen den letzten Gebirgszug vor dem Meer da und die kleine Straße führt stark steigend bergauf. Hinter mir braut sich mittlerweile ein starkes Gewitter zusammen. Man kann richtig zusehen, wie der Wolkenturm in sich wächst, nach oben schießt und immer dunkler wird. Ich schraube mich immer weiter nach oben, während über die Bergkämme die ersten schwarzen Wolken ins Tal einziehen. Ich bin mir der ernsten Gefahr durchaus bewusst: Denn dieses mal bin ich nicht in einem Tal unterwegs, wie am ersten Tag, dieses mal bin ich gerade dabei mich auf einen der höchsten Punkte hier zuzubewegen. Um mich herum beginnt es bereits vereinzelt zu donnern und die Kurven wollen einfach nicht enden. Während es sich immer dunkler zuzieht und ich immer heftiger zutrete, kann ich eigentlich gar nicht mehr. Schließlich sind zwei Gebirge an einem Tag nicht gerade wenig. Dennoch sitzt mir der Druck im Nacken endlich über den 600 Meter hohen Pass zu kommen.
Als ich endlich oben bin, geht es erwartungsgemäß lange bergab und man kann schon erste Blicke auf das weit unter mir liegende Meer werfen. Über Carrara, welches für seinen Marmor bekannt ist, und Massa, welches unter Touristen wegen seines Meerbades „Marina die Massa“ eher bekannt ist, begebe ich mich ans Meer unter Tausende von Strandtouristen. Hier scheint wieder die Sonne, das Gewitter hängt anscheinend nur über den Bergen. Während ich das dichte Gedränge am Strand beobachte, spricht mich ein älterer Mann an, ob ich Italienisch könne.
„Si, un po.“ Ja, ein bisschen. Und so unterhalten wir uns über meine Route und er erzählt von seinen Touren mit dem Rennrad in den Bergen.
Bis Viareggio, dem größten und bekanntesten Touristenort an der Versiliaküste, fliege ich mit Höchstgeschwindigkeit an der Uferpromenade an zahlreichen Hotels vorbei. Über 35 Kilometer zieht sich der gesamte Streifen des Massentourismus hier entlang. Besonders beeindruckend bei Nacht anzusehen, verfolgt man einmal das Lichtermeer entlang des Ufers.
Am Mittelmeer |
Durch Lido di Camaiore und Viareggio zieht sich der zäh fließende Verkehr nur sehr langsam hin. Trotzdem ist es für mich nett hier durchzufahren, da ich im Frühjahr auf Klassenfahrt mit der Schule hier im Hotel war. Und nun bin ich wieder hier. Man erkennt so vieles wieder und man weiß, dass man die gesamte Distanz mit aus eigener Muskelkraft zurückgelegt hat.
In Viareggio beschließe ich nach über hundert Kilometern den Zug bis Montecatini Terme zu nehmen. Wie ich es schon am Vortag erwartet hatte, ist es heute nicht mehr möglich bis ins 50 Kilometer entfernte Ziel zu fahren. Während ich die Tickets kaufe, wird mein bepacktes Rad neugierig von den vor dem Bahnhof stehenden Taxifahrern beäugt.
Von der italienischen Bahn ist man es ja gewöhnt, dass die Züge zu spät kommen, dass es aber gleich 45 Minuten sind, damit hatte auf dem Bahnsteig keiner gerechnet.
Als der Zug dann ankommt, gibt es auch keine Probleme mit meinem Rad, ich soll nur ganz vorne einsteigen. Um 21 Uhr erreicht der Zug den Bahnhof und ich komme gerade in einem Zwei-Sterne-Hotel unter, als draußen ein unglaublicher Regen mit Gewitter niedergeht. Der Donner ist markerschütternd und das Licht flackert bedrohlich. Bei diesem Wetter habe ich keine Lust mehr das Haus zu verlassen um Essen zu gehen. Und so lege ich mich nach etwas „Kommissar Rex“ auf italienisch im Fernsehen schlafen.